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Exzentriker gefragt: Bibiana Beglau

# 09/18
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Bibiana Beglau ist eine der besten Schauspielerinnen ihrer Generation, und das gleichermaßen auf der Theaterbühne wie vor der Film- und Fernsehkamera. Mit flair sprach sie über die positiven Werte von Exzentrik, ihre Karriere jenseits des Mainstreams und über berühmte Persönlichkeiten der Geschichte, die schonungslos aufs Ganze gingen, statt sich zu verleugnen.

Interview: Siems Luckwaldt
Foto: René Fietzek

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Foto: René Fietzek

flair: Sind Sie eine Exzentrikerin?
Bibiana Beglau: Künstlerisch betrachtet trifft das für manche Arbeiten vielleicht zu. Unter Freunden oder bei meiner Familie bin ich aber wahrscheinlich eher überraschend normal und unauffällig. Oder würde eine Exzentrikerin genau das antworten?

Wenn man liest, was über Sie geschrieben wurde, stolpert man über Begriffe wie „sperrig“ und „unbequem“ – und erwartet als Nächstes das Wort „hysterisch“. Das klingt verdächtig nach (männlicher) Kritik aus dem 19. Jahrhundert. Stört Sie das?
Grundsätzlich muss ich es natürlich anderen überlassen, wie sie mich sehen, das steht jedem frei. Manches Ressentiment entsteht vielleicht, wenn Kraft im Spiel ist – gerade im Theater, wo die Arbeit ganz anders funktioniert als im Film. Man steht ja auf einer Bühne, um zu überleben – auch das Scheitern und die eigenen Fehler. Und wenn mich jemand im negativen Sinne als Hysterikerin beschreibt, bin ich in bester Gesellschaft mit Persönlichkeiten wie Maria Stuart, der einstigen Königin von Schottland und Frankreich, oder der griechischen Sagengestalt Antigone – das waren nämlich Weltbewegerinnen. Zugegeben: Keine von ihnen kam mit dem Kopf auf den Schultern aus ihrer Geschichte heraus …

„Sie spielt oft die unliebsame Frau“, stand irgendwo über Sie. Was könnte das heißen?
Vielleicht eine Frau, die aus der für sie vorgesehenen Rolle fällt. Eine, die sich jenseits sicherer, komfortabler Normen zu bewegen wagt. Man könnte auch sagen: eine Exzentrikerin, was ja nichts anderes bedeutet als „exzentrisch“ – fern der Mitte. Auch „verrückt“ ist letztlich bloß die Beschreibung eines vom Durchschnitt abweichenden Verhaltens, in dem Menschen wie Tiere instinktiv eine Gefahr vermuten, einen Verstoß gegen die beruhigende Ordnung.

Das Mittelmaß wäre demnach biologisch erstrebenswert. Will heute nicht jeder vor allem eines: auffallen?
Aber genau das ist ja der Konsens, der auch noch technisch geleitet, geführt und zu Geld gemacht wird. Im Grunde unseres Wesens aber ringen wir in allen Bereichen eigentlich um eine Balance, um einen Ruhepol, eine verlässliche Basis. Ohne aufreibende Ausschläge nach oben oder unten. Wir leben die Qual der Hoffnung auf einen paradiesischen Zustand. Mit den uns immanenten Paradoxien, den Amplituden unserer Widersprüche, den quälenden Schwingungen unserer Existenz, beschäftigen sich meist die Kunst und die Geisteswissenschaften. Sie verweigert sich bestenfalls einfachen Lösungen.

Suchen Sie gezielt nach Figuren fern des Mainstreams oder passiert das ganz unbewusst?
Ich will mit keiner Rolle absichtlich irgendjemanden reizen, ich traue nur einer gewissen Lebensruhe nicht. Vermutlich verstehe ich die auch gar nicht. Und wenn man sich Werke aus Lyrik und Literatur genauer anschaut, dann wird man klar mehr exzentrische, außergewöhnliche Menschen und Wesen darin entdecken als „Normalos“. Weil es für die Lektüre und die Darstellung einfach interessanter, reizvoller ist.
Ein Gegenbeispiel sind in meinen Augen Serien wie die „Lindenstraße“, die gerade um das Mittelmaß ihrer Charaktere kreist: der gute Papa, der wilde Sohn, die fürsorgliche Mutter … Diese Storys sollen allenfalls wohldosiert an- oder aufregen. Das hat definitiv seine Berechtigung, nur braucht die Kunst ein anderes Maß der Dinge, um wirken zu können.

Wird der Begriff Exzentrik öfter für Frauen als für Männer gebraucht?
Das weiß ich nicht. Mich interessiert mehr, ob die Exzentrik eher als etwas Gutes oder Schlechtes aufgefasst wird. Maximilien de Robespierre, der legendäre Freigeist, der im späten 18. Jahrhundert lebte, war fraglos ein Exzentriker. Bei Marlon Brando, Karl Lagerfeld oder Yves Saint Laurent zweifelt auch niemand ernsthaft daran, dass sie exzentrisch waren oder sind. Nackt auf dem Plakat für sein erstes Parfüm wie Yves Saint Laurent – da muss man kaum mehr sagen, oder??

Exzentrik meint die Bereitschaft, eigene Wege zu gehen. Wurde Ihnen diese Lebensphilosophie in die Wiege gelegt?
Ich komme aus Braunschweig und bin in eher einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Eine Kindheit in der befriedeten mitteldeutschen Mittelschicht, die kaum weiter entfernt von Choderlos de Laclos’ „Gefährliche Liebschaften“ oder -Molières „Der eingebildete Kranke“ hätte sein können. Von Stoffen aus früheren Jahrhunderten also, in denen Exzentrik gefeiert wurde. Je oller, desto wahnsinniger …  
Mein Lieblingsbeispiel ist Caravaggio, ein Maler aus dem 16. Jahrhundert, der zum Lieblingskünstler römischer Kardinäle aufstieg, zugleich aber ein ziemlicher Haudegen und sogar Totschläger war. Biblische Bilder eines Kriminellen, die bis heute in vielen Kirchen hängen – das ist Exzentrik. Er hat religiöse Motive voller Verve auf die Leinwand gebracht, aber wenn man genauer hinschaut und die Blicke sieht, die sich die Menschen darauf zum Teil zuwerfen, wird es geradezu subversiv. Die Suche nach solchen Fehlern und Widersprüchen fasziniert mich. Das ist aber eher das Ergebnis meines bisherigen Lebens als etwas, das ich mir als Kind oder Jugendliche hätte abschauen können.

Wie geht man mit Kritik um, die einem jenseits der sicheren Mitte oft entgegenschallt?
Das muss man wohl lernen, gerade wenn es sehr persönlich und verletzend wird. Wer durchhält, der wird am ehesten in Ruhe gelassen, nicht immer,­ aber oft, ist meine Erfahrung. Aber ein Stück weit gehört Gegenwind zum Künstlerdasein und allen Jobs oder Lebensentwürfen, welche sich aus der breiten, anonymen Masse wagen und som­it sichtbar werden – und angreifbar.

Das bringt uns zu einer weiteren Facette der Exzentrik: Sie ist eine Haltung.
Wenn ich mich von der Mitte entferne, brauche ich allein schon für die Richtung die nötige Energie und eine Haltung. Gehe ich nach links, nach rechts, nach oben oder unten? Das ist in einer kapitalistischen Gesellschaft eher unbeliebt, das klare Ja oder Nein. Denn mit einem schwammigen Jein oder Vielleicht bewege ich mich geschmeidiger zwischen den Rädern der Maschine und halte mir deutlich mehr Optionen offen. Dieser Zustand macht es meiner Meinung nach populistischen Kräften derzeit recht leicht, mit ihren so klaren wie absurden oder abscheulichen Forderungen Gehör zu finden. Sie gaukeln eine klare Richtung immerhin überzeugend vor. Wenn man so will, ist das auch eine Form der Exzentrik, eine gefährliche wie bei Trump. Nur scheuen solche Leute die Konsequenzen ihres Handelns! Anders als Oscar Wilde, der ebenfalls in den eccentricity club gehörte und dessen Leben weiß Gott nicht einfach war. Statt sich konform zu verhalten und eine Frau zu heiraten, ging er als schwuler Mann für seine Wahrheit ins Gefängnis. Das ist innere Stärke und eigene Haltung!

Sind Exzentriker wahrhaftiger, zeigen offen, was wir lieber vor der Welt verbergen?
Zumindest einer kleinen Wahrheit scheint mir eine exzentrische Person sehr loyal verpflichtet. Zu diesem Thema gibt es einen großartigen Film von 1988, „Das Kuckucksei“. Es geht darin um einen Mann, der nachts als Travestie-Künstler im Rampenlicht steht und tagsüber für seine Homosexualität verprügelt wird. Für seine Wahrheit notfalls auch zu leiden, ja, das kann zur Exzentrik gehören. Ebenso kompromisslos und definitiv exzentrisch sind die Arbeiten des russischen Aktionskünstlers Pjotr Andrejewitsch Pawlenski, der sich für ein Werk den Mund zunähte. Ein sehr stummer Protest. Aber die Polizei konnte ihm so auch nicht „das Maul aufbrechen“, um ihn zu verhören. Das ist dann wohl exzentrische Intelligenz.

In Ihrem Spiel auf der Bühne gehen Sie wieder und wieder an Ihre Grenzen, auch physisch.
Auch ich muss mit Kraft und Körper haushalten, sonst wäre ja nach einem Abend Schluss. Dieser recht schonungslose Einsatz kommt bei mir aus den sehr beruhigten Neunzigern, wo es oft hieß: „Reg dich doch nicht so auf, immer den Ball flach halten …“ Ich habe mich lieber mal richtig schön und kathartisch aufgeregt. Es kann auch nicht immer nur um die gute Pflege des Körpers gehen, denn der Verbrauch desselben gehört gleichermaßen zu unserer Existenz. Gerade im Kapitalismus, wo es doch immer um Angebot und Nachfrage geht, um wegwerfen und neu kaufen. Das muss man auch mal ganz wörtlich nehmen, mal ausspielen, was das heißt – emotional, körperlich, sich selbst in die Waagschale zu werfen. Dazu kommt der Wille, nicht zu vergehen, sein Leben immer wieder neu zu erfinden.

Wo nehmen Sie die nötige Power für Ihre Kunst her?
Darüber habe ich mich neulich auch mit einem Freund unterhalten. „Ich fühle mich wie ein Iljuschin-Flugzeug, das schon lange ohne Kerosin fliegt. Immer am Äquator lang um den Globus.“ Damit will ich sagen, dass ich es ehrlich nicht weiß. Ich laufe einfach auf einer Mischung aus Spaß am Experiment und aus Angst vor Langeweile. Es beflügelt mich auch, große Stücke und Texte wie eine Maschine zu nutzen, um meine eigenen Überzeugungen auszudrücken.

Exzentrik beinhaltet eine Portion Frechheit, ein klein wenig Respektlosigkeit. Können Sie das für sich unterschreiben?
Unbedingt. Bei meinem letzten „Tatort“-Dreh beispielsweise habe ich einfach mal gewagt, die Rolle einer Verfassungsschützerin nicht als strenge Beamtin im grauen Kostüm anzugehen, wie es meistens zu sehen ist, sondern als eine Art Singer/Songwriter-Hippie. Solche Persönlichkeiten muss es in diesem Beruf doch auch geben, dachte ich. Der Regisseur hat kurz gestutzt und mich dann machen lassen (Anm. der Redaktion: Die Folge „Zorn“ wird im Herbst ausgestrahlt). Das hat mir irre viel Freude gemacht, ein wenig Schabernack, ein wenig Narr sein … Ausleben, was ich mich privat wohl kaum trauen würde.

Wie wichtig ist Humor in der Exzentrik?
Ganz wichtig. Ich kann mich beispielsweise herrlich amüsieren über den Satz „Ich lach mich tot“. Schallend lachen, auch wenn man sich das Knie blutig geschlagen hat. Oder schallend weinen, was eh keiner auseinander halten kann, weil im Körper das Gleiche passiert. Es fließen Tränen, das Zwerchfell zittert, die Muskeln verkrampfen, man kriegt Schluckauf …

Steckt ein Exzentriker zwangsläufig in auffallender Garderobe?

Auch ein optisches Mauerblümchen kann extrem exzentrisch wirken, im Verhalten, in den Interessen, in seiner Mission, wenn es zum Beispiel mitten in der Wüste steht oder am Südpol. Ohne sich zu kleiden, als käme es von einer Party beim großen Gatsby. Gleichwohl feiert der Karneval natürlich Exzentrik, wenigstens für ein paar Tage, und auch der Boom der Dandy-Hipster trägt exzentrische Züge. Dennoch: Exzentrik ist viel, viel mehr, tiefgründiger und weitreichender als ein -Federkopfputz oder Einstecktücher.

Wie benutzen Sie die Mode als Werkzeug für Ihre Kunst?
Erst mit einem Kostüm greifen bestimmte Sätze, versteht das Publikum, wovon die Rede ist. Selbst des Kaisers neue Kleider, die ja unsichtbar waren, machen erst Sinn, wenn der Regent vorher bekleidet war. Sonst hält man ihn bloß für einen Nudisten. Übrigens auch ein Exzentriker, jener Märchenkaiser mit dem Drang, sich immer neu zu gewanden. Wenn auch ein Nichtwissender!

Ein Exzentriker schafft sich eigene Welten mit eigenen Regeln, eigener Ästhetik, frei nach Pippi Langstrumpf. Ein zutreffendes Fazit?
„… widdewidde wie sie mir gefällt“, stimmt, Pippi ist eine der größten Exzentrikerinnen überhaupt! Ja, indem ich die allgemein anerkannten Sphären ein Stück weit verlasse, muss ich diesen neuen Raum auch neu füllen. Mit eigenen Koordinaten, mit allem, was ich mag, denke, fühle und bin. Eben eine Welt, in der zweimal drei vier sind und plus drei neun ergeben.

Bibiana Beglau ist Mitglied im Ensemble des Münchner Residenztheaters, wo sie zum Zeitpunkt unseres Gesprächs in der Probenarbeit für Molières „Don Juan“ war. Unter der Regie von Frank Castorf – einem weiteren Exzentriker. Am 28. November 2018 ist die Schauspielerin in „Sieben Stunden“ (ARD) als Therapeutin zu sehen, die von einem Patienten als Geisel genommen wird. 
www.residenztheater.de

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13.09.2018