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Modetheoretikerin Barbara Vinken über den Trend zum Unisex

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Barbara Vinken ist Professorin und Autorin mehrerer Bestseller zum Thema Mode. In "Angezogen. Das Geheimnis der Mode" widmet sie sich dem Phänomen Unisex. Mit flair hat sie ihre Ansichten geteilt

Interview: Ann-Kathrin Riedl

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Foto: Claudio di Luca/ PR

"Ich denke an Leute, nicht an Mann oder Frau, wenn ich entwerfe“, sagte Miuccia Prada im letzten Jahr. Auch bei anderen Designern sind immer mehr Parallelen zwischen Männer- und Frauenkollektion zu beobachten. Wie sehen Sie dieses Phänomen?

Grundsätzlich geht es in der Mode der Moderne um Crossdressing. Während der Trend seit Anfang des letzten Jahrhunderts dahin ging, dass Frauen sich wie Männer anzogen - oder genauer wie Dandys - so sehe ich hier eine Kehrtwende: Jetzt ziehen sich Männer wie Frauen an, die sich wie Dandys anzogen. Ziemlich raffiniert.

Welche Designer der letzten Jahrzehnte waren Vorreiter dieser Entwicklung? Und welche prägen sie heutzutage?

Chanel war die Frau, die die Frauen wie Dandys angezogen hat – oder auch mal wie Matrosen, mit der Marinière, weiten Leinenhosen etc. Heute hat Hedi Slimane Techniken der weiblichen Haute Couture in das männlichste aller Kleidungsstücke eingeführt, den Anzug, und ihn so zum Kleinen Schwarzen gemacht. 

Kann es eine wirklich geschlechtsneutrale Kollektion überhaupt geben? 

Nein, selbst wenn sie mönchische Kollektionen nehmen, sagen wir "The Row", so liegt doch der Witz immer darin, den geschlechtlich markierten Körper zu verstecken - oder zu inszenieren, indem man ihn gerade nicht inszeniert. Mode ist immer sexuell markiert. Aus dem Verschieben und Verrücken, oder auch dem Durchstreichen dieser Markierungen – die dadurch ja nicht verschwinden - zieht sie ihren Witz.

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Gucci S/S 16, Foto: Catwalkpictures
Gucci S/S 16, Foto: Catwalkpictures

Wird das „Verschwimmen der Geschlechter“ in der Mode weiter fortschreiten und zum Mainstream werden, oder handelt es sich nur um einen kurzfristigen Hype? 

Ich würde nicht sagen, dass es um ein „Verschwimmen“ geht. Durch das Durchkreuzen der Stereotype des Weiblichen und das Männlichen entsteht der modische Reiz und hier sind wir im Moment in der Tat an einem interessanten Punkt, weil seit ein paar Jahren zum ersten Mal für Männer entworfene Kollektionen die Männer „weiblich“ anziehen: viel Spitze, Spiel zwischen Stoff und Haut, hautenge, taillierte Anzüge, großgeblümte, sehr farbenfrohe Stoffe, Dekolletés etc.
 
Androgyne Models wie Ruby Rose feiern gerade große Erfolge. Geht der Trend zu Unisexmode gleichzeitig mit einer Aufweichung klassischer Schönheitsstandards einher? 

Ich glaube nicht, dass die Mode aufweicht. Sie formt und entwirft ständig neue Schönheitsideale. Oft ziehen sie ihren Witz aus dem unerwarteten, überraschenden, disharmonischen Aufeinandertreffen, dem Sich-Aneinanderreiben von Geschlechtsstereotypen. Dass die Männerkollektionen im Moment „weiblicher“ werden, finde ich sehr reizvoll. 


Unter dem Titel "Mode ohne Unterschied" bespricht Autorin Julia Werner das Thema in der aktuellen flair-Ausgabe. Nicht verpassen!

25.09.2015