flair im September

Rettet das Private

# 9/17

„Secrets are lies. Sharing is caring. Privacy is theft.“ Mit diesen Slogans wird in der neuen Bestseller-Verfilmung „The Circle“ die moderne Sucht nach dem öffentlichen Teilen verherrlicht und die Privatheit verteufelt. Dabei macht gerade Letztere uns zu sozialen Wesen. Philosophieprofessor Dr. Markus Gabriel erklärt in der September-Ausgabe, wie die Transparenz im Netz unsere Freiheit, unsere Gesundheit und unsere Beziehungen gefährden kann.

Text: Markus Gabriel

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Illustration: Onka Allmayer-Beck

Die digitale Revolution ist dabei, unsere Vorstellungen von sozialer Identität zu hinterfragen. Auf der einen Seite steht die Utopie, das menschliche Leben transparenter zu machen. Auf der anderen die Dystopie eines totalen Überwachungsstaats. Der Utopie zufolge nähern wir uns einem Idealstaat an, in dem Menschen zwar vollständig vorhersagbar und durchleuchtet sind, dafür aber womöglich unsterblich werden, indem wir unsere personale Identität von unserem Körper entkoppeln und zu Geistern werden, die durchs Internet sausen. Auf dem Weg zu dieser (angeblichen!) Unsterblichkeit greifen Konzerne und Geheimdienste freilich schon jetzt massiv in unsere Privatsphäre ein. Um dem vorzubeugen, malt uns die Dystopie eine Welt aus, in der wir unsere soziale Identität völlig verlieren und an anonyme Systeme abgeben, die ihrerseits nichts und niemand mehr kontrollieren kann.

Besonders radikal schildert dieses Szenario der Film „The Circle“, der in diesen Tagen in die Kinos kommt. Er basiert auf dem gleichnamigen Buch von Dave Eggers, das 2013 erschien. The Circle ist ein groß angelegtes Gedankenexperiment, anhand dessen wir überprüfen können, ob es wünschenswert ist, die Digitalisierung des Sozialen auf die Spitze zu treiben. Der Titel des Romans bezieht sich auf einen gigantischen Konzern desselben Namens, der alle denkbaren Online-Identitäten in ein einziges Konto zusammenführt. Die Mitarbeiter des Konzerns sind verpflichtet, die entsprechende App namens „TruYou“ (wahres Selbst) zu nutzen, womit ihre sozialen Einstellungen zu anderen durchsichtig und in einem Punktesystem bewertbar werden. Wer nicht mitmacht und nicht regelmäßig das Geschehen und seine Mitspieler kommentiert, verliert an Wertigkeit. Die Offline-Identität wird zur Online-Identität, weil schlicht keine Zeit mehr für die gewöhnliche Wirklichkeit bleibt ...



PROF. DR. MARKUS GABRIEL


Markus Gabriel ist habilitierter Philosoph und Bestsellerautor. Der heute 37-Jährige wurde 2009 als jüngster Philosophieprofessor Deutschlands an die Universität Bonn berufen. Dort hat er den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart inne und ist Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie. Zu seinen aktuellen Büchern zählen „Warum es die Welt nicht gibt“ (2013) und „Ich ist nicht Gehirn – Philosophie des Geistes für das 21. Jahrhundert“ (2015). Im Vorjahr ist „Sinn und Existenz – Eine realistische Ontologie“ im Suhrkamp Verlag erschienen.

Foto: Volker Lannert / Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

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06.09.2017