Storys

Shopping auf dem Neuen Wall in Hamburg - Erfahrungsbericht Teil 2

Jetzt wird's crazy: mit pochendem Herzen steuere ich den Luxusjuwelier Pomellato an - und betrete hier nun wirklich Neuland. Die erste Peinlichkeit erlaube ich mir schon vor der Eingangstür, komisch, dass die keinen Wachmann haben, denke ich noch, bevor ich gegen die fest verschlossene Glaspforte knalle. Ah, natürlich, hier muss man klingeln. Innen ist alles in Schwarz und Gold gehalten, eine rundliche Dame im Hosenanzug begrüßt mich freudig und springt sofort herbei, um mir den roten Samtsessel zurecht zu rücken. Pomellato ist kein Laden, in dem man "sich erstmal nur umschaut". "Was kann ich für Sie tun?" Mir kommt der vage Verdacht in den Sinn, dass die freundliche Schmuckverkäuferin bisher den ganzen Tag bloß herumgesessen und verzweifelt auf Kundschaft gewartet hat, sodass sie nun selbst mich, die ich mit meinen 18 Jahren und der schludrigen Erscheinung eines Post-Teenagers sicherlich nicht nach zahlendem Klientel aussehe, dankbar für die Abwechslung umgarnt.

"Ich hätte gerne einen Ring", sage ich fröhlich. "Natürlich! Mit Vergnügen!" Sie streift ein Paar Stoffhandschuhe über und breitet eine Auswahl hübscher Modelle mit honigfarbenen, himmelblauen oder limettengrünen geschliffenen Steinen vor mir aus. "Hier sehen Sie einen Ring aus Roségold mit Einfassung aus Weißgold und facettiertem, blauem Topas. Handgearbeitet. Sie können auch mehrere Ringe mit verschiedenen Steingrößen und in diversen Farben an einem Finger tragen." Ich versuche möglichst interessiert und zugleich fachmännisch zu gucken. Meine Hände sind von der Kälte rot, aufgequollen und rissig, und während die Verkäuferin mit ihren Handschuhen hantiert, wage ich kaum, die kleinen Kostbarkeiten auch nur anzurühren. "Sehr hübsch", sage ich, mehr fällt mir nicht ein. Zaghaft probiere ich meinen Favoriten mit dem tintenblauen Stein an. Ein sehr exquisiter und erhabener Anblick, bloß bleibt das elegante Stück leider auf halber Strecke an meinem Finger stecken und will nicht weiter. "Für dicke Finger haben wir auch größere Größen!" Ah ja, sehr charmant. Die Dame kann sich gleich mit der Jil-Sander-Verkäuferin zusammentun und das Seminar für diplomatische Kundenberatung besuchen. Außerdem, wer hat hier wohl die dicken Finger, sie oder ich!? Ich verstecke meine hässlichen Hände unterm Verkaufstisch, plappere etwas von "Solch eine Investition muss wohlüberlegt sein" und verabschiede mich.

Jetzt habe ich eigentlich keine Lust mehr. Ich fühle mich unfein wie ein Bauerntölpel, in der Gucci-Kabine konnte ich mein käsiges Gesicht im Neonlicht noch ignorieren, bei Jil Sander überwog der Triumph, in eine italienische Größe 36 hineinzupassen - aber meine roten Hände, die aussehen, als käme ich direkt vom Lande, haben mich doch wieder auf den Boden der Tatsachen zurück geholt. Obwohl dieser Gedanke absurd ist, frage ich mich, ob ich als kleine Durchschnittsbürgerin in Zara-Jeans überhaupt das Recht dazu habe, einfach frech in irgendwelche Läden zu spazieren und Ringe und Hosenanzüge zum Preis eines Gebrauchtwagens anzuprobieren. Sind diese Etablissements nicht viel eher für mondäne Damen mit perfekter Föhnfrisur, perfekten Hautporen, perfekt gewachsten Beinen, gezupften Augenbrauen, manikürten Fingernägeln, und - natürlich - perfekten Kreditkarten gemacht?

Ins Paradies von Bottega Veneta

"Ich bin Daria, und wer sind Sie?" Bei Bottega Veneta empfängt mich eine lustige kleine Mademoiselle mit blondem Dutt und kurzen Beinen. Vollkommen übermotiviert wuselt sie um mich herum und zeigt sich schwer enttäuscht darüber, dass ich erstmal nur EIN schwarzes Kleid anprobieren möchte. "Ich empfehlen Größe 34 für Sie!" quietscht Daria eifrig, als ich nach einer Größe 36 fragen will, und treibt mich in die in sanftes Dämmerlicht getauchte Anprobekabine. "Ich Ihnen holen Schuhe!" Allmählich kehrt mein Selbstwertgefühl zurück. Während ich noch heimlich versuche, mich im Spiegel in dem tatsächlich ideal sitzenden Kleid zu fotografieren (natürlich heimlich! Derartige Machenschaften sind hier schließlich nicht erlaubt), hüpft Daria völlig hyperaktiv vor der Kabinentür herum und fragt dreimal, ob ich ein Glas Wasser oder einen Espresso oder sonst etwas wünsche. "Hier großer Spiegel, Sie kommen raus, ja?" Alles klar. Das Kleid ist ein Traum, midilang, schwarz, knalleng geschnitten, mit rechteckigem Ausschnitt. Daria überschlägt sich beinahe vor Begeisterung, und macht damit, wie ich finde, alles richtig. Schließlich geht man doch, ganz insgeheim, auch deshalb in eine Luxusboutique dieser Art, weil man sich eben einmal wie eine Königin hofieren lassen will. Hätte ich gerade 1400 Euro parat, würde ich das hübsche Kleid auf der Stelle kaufen - allein deshalb, um Daria eine Freude zu machen. "Ich komme mit meinem Vater wieder", lüge ich ,"der hat bei Ihnen auch schon mal was gekauft." Das allerdings stimmt tatsächlich, zum 50. Geburtstag hat meine Mutter von ihm eine herrliche braune Bottega-Handtasche bekommen. "Ja, ich genau wissen, eine braune Handtasche war das!" strahlt Daria. Jetzt bin ich aber wirklich platt. Zeit zu gehen, bevor ich am Ende vor lauter Begeisterung doch noch was kaufe - wofür ich meiner Kreditkarte allerdings irreparable Schmerzen zufügen müsste.

Letztes Ziel: Burberry

Langsam neigt sich der Nachmittag dem Ende zu, die Sonne steht schon tief über dem Neuen Wall. Meine gute Laune ist zurück, ich flaniere munter an den schönen großen Vitrinen vorbei und stelle mir vor, wie ich vielleicht eines Tages tatsächlich mal mit der ein oder anderen Tüte den ein oder anderen Laden wieder verlassen werde. Bei Burberry möchte ich meine Expedition abschließen. In der Hamburger Boutique gibt es fast ausschließlich die Klassiker des Hauses zu kaufen, die modischere Prorsum-Linie scheint das hanseatische Publikum offenbar nicht anzusprechen. Im Ladeninneren herrscht entspannte Atmosphäre, zwei kleine Jungs lungern herum, während Mutti einen Blazer anprobiert. Ich hingegen habe längst ein Auge auf den Klassiker des Hauses schlechthin geworfen: den traditionellen Trenchcoat. Die besonders freundliche Verkäuferin hilft mir in den Mantel, den ich auf der Stelle nie wieder ausziehen will - was man mir offenbar auch sofort ansieht. Der Trench sitzt, als wäre er exklusiv für mich genäht worden, passgenau, honigfarben, wunderbar. "Ich habe eigentlich schon einen Burberry zu Hause", sage ich und das stimmt tatsächlich. Meine schrumpfende Großmutter, die in ihrem Modell aus den 60er Jahren allmählich zu versinken drohte, hat ihn mir vor ein paar Jahren überlassen. Aha, das könnte was werden, sagt der Blick der weiterhin ausnehmend freundlichen Verkäuferin. Sieht sie mich nun als ernsthaft potenzielle Kundin? "Ich werde ihn mir zum Geburtstag wünschen", sage ich, und das ist nicht einmal gelogen. Wünschen darf man sich schließlich alles, ob man es bekommt, ist eine andere Frage. Der Trenchcoat kostet 1395 Euro - für mich unbezahlbar, aber durchaus angemessen, wie ich finde. Schließlich behält man so ein Stück ein Leben lang.

Nach zweieinhalb Stunden Einkaufstour ohne materielle Ausbeute stehe ich wieder auf dem Neuen Wall. Ich bin zufrieden. Dank insgesamt doch reichlich liebenswerter Verkäuferinnen und dem zwar nur temporären, trotzdem aber herrlichen Erlebnis, die wohl schönsten Zwirne, die es weltweit so zu kaufen gibt, am eigenen Körper tragen zu dürfen, ist meine Stimmung längst wieder auf dem Höhepunkt angelangt. Ich habe keinen Cent ausgegeben, und kehre trotzdem mit zumindest imaginär gefüllten Einkaufstüten heim. Was ich eines Tages kaufen werde, wenn mein Budget es dann zulässt, weiß ich nun: einen Hosenanzug von Gucci, ein Kleid von Jil Sander, einen Trenchcoat von Burberry.  Und vielleicht haben all die netten Verkäuferinnen, die mit den arroganten Einkaufsberaterinnen in "Pretty Woman" erfreulich wenig gemein haben, längst erkannt, dass junge, modebegeisterte Menschen wie ich zwar noch nicht über das notwendige Finanzpolster verfügen, sich jetzt aber schon mal mit den traumhaften Kreationen luxuriöser Modehäuser zu identifizieren beginnen, die sie sich in ein paar Jahren vielleicht doch einmal werden leisten können. Igendwann wird es soweit sein, irgendwann werde ich, ein gewöhnliches Mädchen mit rissigen Händen und abgelaufenen Schuhen, Jil Sander und Burberry mit Einkaufstüte verlassen. Bis dahin kann man ja schon mal üben, wie sich so viel verstofflichte Perfektion auf der Haut anfühlen kann.

Hier gelangen Sie zum ersten Teil des Erfahrungsberichts.

Nach ersten Stopps bei Unger und Gucci setzen wir das Experiment als minderbemittelte Shopping-Voyeure bei Jil Sander, Bottega Veneta und Burberry fort. Besonders spannend: die Schmuckberatung bei Pomellato...

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Erster Stop: Jil Sander

Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja: Beim blauen Hosenanzug von Gucci, den ich unter widrigsten Bedingungen (nämlich in frostiger Neonbeleuchtung) anprobieren, lautlos anschmachten und schließlich dank leichtem Portemonnaie schweren Herzens in der Boutique zurücklassen musste. Die nächste Forschungsstation meines Experiments heißt Jil Sander und empfängt mich im großräumigen Hamburger Flagshipstore in klinisch weißer Oasenatmosphäre. Aus den Lautsprechern tropft leise Loungemusik, ich fühle mich wie in einem luxuriösen Spa, fehlen nur Swimmingpool und Massageräume. Ich weiß längst, was ich anprobieren möchte: das traumhafte weiße Kleid mit voluminösen Keulenärmeln, das mich bereits seit einigen Wochen aus sämtlichen Modestrecken und hochglänzenden Werbeanzeigen anlacht. Eine entzückende Osteuropäerin führt mich in die Umkleidekabine, herrlich, hier könnte ich einziehen. Übrigens der erste Laden, in dem ich sofort und ohne kritische Musterung meiner ausgeblichenen Zara-Jeans bedient werde. Jil Sander ist pures Understatement, und auch den Verkäuferinnen scheint man jeden Anflug von arroganten Allüren abgewöhnt zu haben. Allerdings weist mich das nette Fräulein ziemlich deutlich darauf hin, dass ich in die italienische 36, die sie mir da in die Kabine gehängt hat, wohl kaum hineinpassen werde, sie gehe mal schnell ins Lager, eine Größe 38 holen. Geht's noch? In Bezug auf meine Figur, an der ich selbst nicht viel auszusetzen habe, lasse ich mich von anderen Leuten selten beirren, aber wenn besagte Verkäuferin mit jeder Kundin so redet… ts ts. Das Kleid passt perfekt in 36. Dazu trage ich schwarze Mules mit meterhohem Plateau und möchte beides nie wieder ausziehen. 890 Euro für das Kleid, sagt das Preisschild. "Ich muss noch darüber nachdenken", sage ich, heimlich ganz verzaubert von meinem schneeweißen, keulenärmeligen Anblick. Lektion Nr. 2: sind die Verkäuferinnen nett und tolerant, kann der Besuch einer Luxusboutique tatsächlich zu einem wahren Wellness-Treatment werden. Insofern passt der Vergleich der Jil-Sander-Boutique mit einem Luxus-Spa also durchaus, auch wenn der Gipfel der Wohltat natürlich wäre, den Laden mit einer großen Tüte mit schneeweißem Inhalt wieder zu verlassen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden - bis dahin träum' ich weiter.

Luxusjuwelier Pomellato

29.04.2013