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„Kunst und Kultur sind Inspirationsquellen für uns alle“ – Interview mit Swarovskis Cultural Director Carla Rumler

Seit mehr als zwei Jahrzehnten kuratiert Carla Rumler Swarovskis Kristallwelten, einem Erlebnis- und Tourismuspark in der Tiroler Gemeinde Wattens, den das österreichische Unternehmen ganz der Kunst gewidmet hat. Mit ihrem jüngsten Projekt blickt die Cultural Directrice auf die Geschichte der Marke: „The Art of Performance” ist eine Ausstellung über das Show-Biz, die die langjährige Zusammenarbeit zwischen Swarovski und Hollywoods Entertainern feiert. Was sie an der US-Traumfabrik fasziniert und warum wir Kunst gerade in schwierigen Zeiten brauchen, erzählt sie uns im Interview.

Fotos: © Swarovski Kristallwelten

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Foto: © Swarovski Kristallwelten

Neben einem 7,5 Hektar großen Garten, der unter anderem eine Installation des Künstlerteams Andy Cao und Xaver Perrot beherbergt, finden sich auf dem Gelände der Swarovski Kristallwelten Wattens auch die Wunderkammern, das Herzstück der des hauseigenen Museums. Sie bestehen aus 17 Ausstellungsräumen, die in regelmäßigen Abständen von renommierten Künstlerinnen und Künstlern bespielt werden. Im Fokus steht dabei immer das Thema Kristall, das kontinuierlich neu und individuell interpretiert wird. Unter den Ausstellungsstücken befindet sich etwa Elton Johns funkelnde Jacke aus dem Musikvideo zu „Rocket Man”. Ebenso Michael Jacksons glitzernder Handschuh oder Marilyn Monroes mit Kristallen besetztes „Happy Birthday“-Kleid, in dem sie 1962 nicht nur den damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy, sondern die ganze Welt in Staunen versetzte.

Liebe Frau Rumler, Sie kuratieren seit vielen Jahren die Swarovski Kristallwelten: Was fasziniert Sie daran?
Unendliche Faszination ziehe ich aus der Zusammenarbeit mit Künstlern aus vielfältigen Genres, die den Facettenreichtum des Mediums Kristall für sich interpretieren. Neue Künstler für die Swarovski Kristallwelten wähle ich sorgfältig aus; sie genießen dann völlige gestalterische Freiheit und erschaffen wahre Wunderwerke voll mit höchster Kreativität.
 
Es gibt den Spruch „In Zeiten der Krise kommt die Mode in Mode”. Ist das mit der Kunst ähnlich? Brauchen wir diese in schwierigen Zeiten noch mehr?
Die Kunst heilt die Seele, und bereits der Philosoph Immanuel Kant stellte seinerzeit schon fest: „Die Kunst ist wie Magie, von der Lüge befreit, Wahrheit zu sein”. Kunst und Kultur sind Inspirationsquellen für uns alle. Der Kunst wohnt die Kraft inne, unseren Horizont zu erweitern und Gedankenräume zu öffnen, über kulturelle, sprachliche und geografische Grenzen hinweg. Bei allen Einschränkungen durch die Pandemie sind diese Eigenschaften aktuell umso wichtiger.
 
Wie kamen Sie auf die Idee der Wunderkammer „The Art of Performance”?
Es war schon viele Jahre mein Wunsch, die glamouröse Geschichte von Swarovski und Hollywood an einem Ort auszustellen. Für so ein umfassendes Projekt muss jedoch der Zeitpunkt passen, und es braucht Partner, die sich dieser Aufgabe mit vollem Einsatz widmen. Mit dem Fashion- und Schmuckdesigner Michael Schmidt habe ich dann 2019 den richtigen Künstler gefunden, um die Wunderkammer zu verwirklichen. Er teilt meine Vision und bringt die Kontakte mit, um sie umzusetzen und darüber hinaus die Türen der Künstler-Archive zu öffnen. Michael Schmidt hat aus unzähligen Möglichkeiten und Einflüssen eine Auswahl getroffen, die viele Jahrzehnte umspannt und Genregrenzen aufhebt – mit Kostümdesigns, durch die er eine Geschichte großer, emotionaler und freudiger Momente menschlicher Verbundenheit erzählt, die sich tief in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt haben.
 

  • Foto: © Swarovski Kristallwelten Foto: © Swarovski Kristallwelten
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Sind wir heute nicht eigentlich alle Performer? Etwa in den sozialen Medien?
Die „15 Minutes of Fame”, die Andy Warhol uns allen vorausgesagt hat, sind mit den sozialen Medien ein Stück weit Wirklichkeit geworden. Umso mehr bieten uns wahre Performer heute Orientierung, wozu einzelne Persönlichkeiten fähig sind - aber auch, wie viel Disziplin und Handwerk es neben dem angeborenen Talent braucht. Das verkörpern die einzelnen Stücke dieser Ausstellung: Kreativität, Handwerkskunst und das Streben nach Perfektion. Nur dann können die Performer im Scheinwerferlicht leuchten.

Nutzen Sie Instagram? Wenn ja, welche Rolle spielt die Plattform für Ihre Arbeit?
Im privaten Bereich nutze ich Instagram – aber nicht zur Selbstdarstellung, sondern zur Inspiration, zum Netzwerken und zum Scouting aufstrebender Talente. Instagram ist für mich ein hilfreiches Tool, um informiert zu sein in den Bereichen Kunst, Architektur, Design und Mode, kann aber niemals das physische Erlebnis ersetzen.
 
Was verbindet Kunst und Mode – dazu zähle ich auch Schmuck – Ihrer Meinung nach?
Ich selbst kam über die Mode zur Kunst und beobachte, wie Kunst und Mode sich gegenseitig bereichern. Eine Vermischung der Disziplinen ist keine neue Erscheinung, denken wir an Gustav Klimt und Emilie Flöge. Gerade im Grenzbereich zwischen den Disziplinen, in dem die Gesetzmäßigkeiten aufgehoben sind, entstehen die spannendsten Werke.
 
Welches Teil der Ausstellung liegt Ihnen besonders am Herzen?
Ein Stück auszuwählen ist unmöglich, weil hinter jedem Stück nicht nur die offensichtliche Designkunst steht, sondern ganz viele Geschichten. Der Anzug von Marlene Dietrich erinnert daran, dass ihr Auftritt in Hosen in einem Film zur damaligen Zeit ein Skandal war. Simone Biles Leotard würdigt eine Ausnahmeathletin und zeigt ganz klar, dass auch Sport von Performern und Emotionen lebt. Mit dem Ensemble von Cher zieht eine Künstlerin mit einer sechzig Jahre umspannenden Karriere in die Swarovski Kristallwelten ein - in Form eines Kostüms von Ausnahmedesigner Bob Mackie. Ganz besonders freut mich auch der Marilyn Monroe-Schwerpunkt aus der Sammlung von Ted Stampfer, mit aufregenden Originalstücken und einer originalgetreuen Replika des „Happy Birthday” Kleides, dessen Anblick sofort einen gedanklichen Film entfacht. Und das sind nur fünf von insgesamt 18 Vitrinen. Dazu kommt die Inszenierung des Raumes von Derek McLane, der sonst die größten Showbühnen des Broadway gestaltet und hier ein wahres Herzstück geschaffen hat.
 
Für welches Ausstellungsstück mussten Sie am meisten kämpfen?
Ein Schlüsselmoment war die Zusage, dass wir den originalen Handschuh von Michael Jackson ausstellen dürfen. Hier mussten wir hartnäckig bleiben und einige Hürden überwinden. Wir konnten es kaum glauben, bis Michael Schmidt den originalen Handschuh aus der Box nahm und endlich in der Vitrine platzieren konnte.
 
Gibt es einen aufstrebenden Künstler oder eine Künstlerin, den oder die Sie derzeit im Auge haben? Oder dessen Werke wir möglicherweise bald in den Kristallwelten sehen werden?
Oh ja, da gibt es einige. Die bleiben aber vorerst noch mein Geheimnis.
 
Sie sind immer auf der Suche nach spannenden Artists – nach welchen Kriterien entscheiden Sie?
Ich gebe zu, oft sind es Bauchentscheidungen. Es heißt: „Wer die Zukunft lesen will, sollte in der Vergangenheit blättern”. Wichtig ist also das Wissen um die Geschichte der Kristallwelten. Daraus ergibt sich ganz natürlich ein Rhythmus, der diese Bauchentscheidungen beeinflusst und mit entscheidet, welcher Künstler angesprochen wird. Eines meiner Leitmotive ist die Diversität der Disziplinen, um in den Swarovski Kristallwelten alle Genres zu präsentieren.
 
Welches Museum besuchen Sie am liebsten?
In Wien bin ich immer fasziniert vom Kunsthistorischen Museum und seiner Kunstkammer. Wann immer ich auf Reisen bin, besuche ich zeitgenössische Ausstellungen in Museen auf der ganzen Welt. Vor allem das Victoria and Albert Museum in London und das Musée des Arts Décoratifs in Paris stehen für Moderetrospektiven, deren kreative Ausstellungskonzepte mit bewundernswerter Leichtigkeit emotionale Geschichten erzählen und mich in ihre ganz besondere Welt entführen.
 
Können Sie den Satz vervollständigen: „Kunst ist/bedeutet für mich…”
Kunst ist die intensivste Form des Individualismus und gestaltet unsere Wahrnehmung, das heißt, dass wir schärfer, tiefer und lebendiger empfinden. Sie wirkt durch die Sinne und für die Sinne.

  • Foto: © Swarovski Kristallwelten Foto: © Swarovski Kristallwelten
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20.01.2022