fashion

Was uns alt aussehen lässt

# 9

Mode ist mehr als nur eine Hülle, sie geht unter die Haut. Ingrid Geringer erzählt von ihren ganz persönlichen FASHION-MOMENTS

Text: Ingrid Geringer, Foto: Wolfgang Zajc

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In den vergangenen Wochen glich mein Job dem einer Jetsetterin. So stieg ich beispielsweise morgens ins Flugzeug nach Paris und landete abends in Berlin. Von dort aus ging es weiter nach Mailand, um am nächsten Abend auch schon
wieder in Wien zu sein. Das vermittelt vielleicht den Eindruck, ich hätte nach den billigsten Flugverbindungen gesucht, um meine endgültige Destination möglichst kosteneffizient zu erreichen. Die Realität war allerdings eine ganz andere: ein straffer Terminkalender, gefüllt mit unzähligen Shoperöffnungen, Ausstellungen und Präsentationen. Es war ein buchstäblicher Event-Marathon. Am Ende dieser Gesellschaftstournee stellten sich bei mir eine leichte Small-Talk-Müdigkeit, ein Dresscode-Frust und eine Champagner-Übersättigung ein. Was für ein Job, denken Sie jetzt, und Sie haben auch recht damit: Mein Beruf ist wundervoll, ich beklage mich nicht. Deshalb möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass Event-Hopping nur einen klitzekleinen Teil meines Joballtags ausmacht und in diesem geballten Ausmaß eher selten vorkommt. Die Kunst, sich auf derartigen Veranstaltungen richtig zu präsentieren, ist eine unterschätzte, aber sehr wichtige. Ich habe in letzter Zeit viel dazugelernt, denn wer so viele Stunden auf dem Parkett des Sehens und Gesehenwerdens jongliert, der wird zwangsläufig auch zum Beobachter. Drei wesentliche Dinge haben sich in mein neues Weltbild eingereiht, und wenn Sie es nicht schon längst selbst festgestellt haben, dann möchte ich meine Erfahrungen mit Ihnen teilen. Fangen wir mit der harmlosesten und einfachsten Sache an: mit Schuhen, auf denen Frauen nicht richtig gehen können! Da steht die Schönste von allen vor mir, perfekt gekleidet, hübsch gestylt, aber die Schuhe an ihren Füßen sind einfach einen Tick zu hoch. Ihre ganze Haltung wirkt so irritierend verkrampft, dass die Magie dieser Frau noch im selben Moment ihren angestrengten Bewegungen weicht. Zoom, der Zauber ist vorbei. Dass wir gerne ganz besonders hübsch bei öffentlichen Anlässen sein möchten, ist ja eigentlich ein sehr respektvolles Ritual. Wir zeigen uns, wir zelebrieren es. Aber zu viel Makeup, getoppt von einem zu künstlich gewickelten, gefärbten und geföhnten Haarkleid, wirkt unnatürlich und lässt die Frauen
älter aussehen. Damit meine ich nicht, dass man auf Make-up oder Friseurbesuche gänzlich verzichten sollte. Ganz im Gegenteil – die Kunst liegt darin, natürlich und selbstverständlich schön auszusehen. Irgendjemand hat das vor langer Zeit ganz richtig formuliert: Weniger ist mehr! Meine dritte Beobachtung (eigentlich wissen wir es ja schon längst, aber keiner will es wahrhaben): die Tatsache, dass zu stark geliftete, gebotoxte oder gestraffte Gesichter keineswegs das tatsächliche Alter kaschieren. Wir sehen Pi mal Daumen nun mal so alt aus, wie wir sind, und daran ist weder etwas zu ändern, noch ist es ein Problem. Wir werden älter: Let’s face it! Ich bin noch nicht fertig, denn das wirklich Erschreckende daran ist, dass an solchen Abenden in unfassbarem Umfang und mit unglaublicher Hingabe hinter den Rücken der Botox- Opfer getuschelt wird. In trauriger Wiederholung hört man Sätze wie: „Die ist doch schon mindestens 55. Mein Gott, die hat ja gar nichts mehr zu lachen. Nein, ich korrigiere: Sie kann gar nicht mehr lachen.“ Bei mir haben diese Abende und Gespräche jedenfalls einen fahlen Beigeschmack hinterlassen. Dass wir Menschen gerne von unseren eigenen Problemen auf andere lenken, ist mir schon klar. Aber mir wäre es dann doch lieber, die Leute würden über mich in ein paar Jahren sagen: „Guck mal, die ist doch sicher schon 55– so viele Falten, wie die hat, wenn sie lacht.“

03.09.2014