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Orientteppiche von Jan Kath – Atelierbesuch in Bochum

# 07

Der Bochumer Jan Kath hat den Orientteppich neu erfunden – mit traditionellen Techniken und zeitgemäßer Gestaltung. Seine einzigartigen Modelle werden wie Kunstwerke gehandelt – denn genau das sind sie, Kunstwerke.

von Andreas Wrede (Text) von Martin Steffen (Fotos & Video)

"Mägde! Was säumt ihr, deren Auftrag ist und Amt, des Weges Grund zu decken ihm mit Teppichen? Sogleich entsteh ein purpurüberdeckter Pfad …" Der Dichter Aischylos legte diese Worte im ersten Teil seiner »Orestie« 458 vor Christus der griechischen Königin Klytaimnestra in den Mund – der Frau, die ihren Gatten Agamemnon nach seiner Ru?ckkehr aus Troja ums Leben bringt. Klytaimnestra spricht die Verse, dann betritt König Agamemnon die mit Teppichen weich und luxuriös bedeckte Bühne.

Teppiche als Kunstobjekt

Über 2000 Jahre später sitzt Jan Kath in seinem Bochumer Hauptquartier, einem ehemaligen Fabrikgebäude. Stahlträger unter den Decken und Betonboden und dazwischen stapelweise die Kath’schen Teppiche, über die man nicht nur schreiten möchte, man wu?rde sich auch glatt darauflegen – so schön sind sie. Ihr Design, für das Jan Kath verantwortlich zeichnet, nutzt Elemente klassischer Orientteppiche und des modernen Minimalismus.
Besonders beeindruckend: die Serie »Erased Classics«, die in Farbgebung und Knüpfung mit dem Anschein des Verblichenen, Abgetretenen spielt. Ein Quadratmeter der außergewöhnlichen Ware kostet zwischen 900 und 1300 Euro, die meisten Kath-Teppiche haben eine Größe von 2,50 Meter mal 3 Meter.

3000 Teppich-Knüpfer arbeiten weltweit für jan Kath

»Bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts ging man davon aus, Nomaden hätten die ersten Teppiche geknupft, um Christi Geburt herum«, erzählt Jan Kath voller Begeisterung. Dann wurde im asiatischen Altai-Gebirge ein Stu?ck entdeckt, das man sogar auf etwa 500 v. Chr. datieren konnte. Seit damals waren die kunstvollen Webwerke aus dem Orient begehrte Repräsentationsware oberer Klassen, durch alle Jahrhunderte hindurch. Einer der wichtigsten deutschen Kunsthistoriker und Mitbegründer des modernen Museumswesens, Wilhelm von Bode, befasste sich Ende des 19. Jahrhunderts erstmals wissenschaftlich mit handgeknüpften Orientteppichen. Bode sorgte für ihre Einordnung als herausragendes Kulturgut, das es zu schützen gilt, ebenso wie die hohe Kunst, sie in diverser Manier zu knüpfen.

Kampf um den Fortbestand der Knüpfkunst

Echten Teppichen wohnt eine eigene Aura und Ausstrahlung inne, die ihnen auch eine billige Abart, irreführenderweise als »Teppichboden« apostrophierte Auslegeware, nicht zu nehmen vermag. Sigmund Freud wusste schon, warum er auf seine Couch in der Wiener Praxis einen wertvollen Teppich legte. Jan Kath ist einer der wenigen international renommierten Teppichdesigner, der sich seit Jahren nicht nur um den Fortbestand, sondern auch um die Fortentwicklung der Knüpfkunst bemüht. Der 1972 in Bochum Geborene kommt aus »einer Familie, die in der dritten Generation mit Teppichen handelt
«. Bereits in jungen Jahren begleitete er seinen Vater nach Nepal und in den Iran. »Wir besuchten dort regelmäßig Teppichmanufakturen.«

Menschenwürdige Arbeitsbedingungen 

Fließbandfabriken, gefährliche Produktionsbedingungen, unfaire Löhne oder Kinderarbeit lehnt Jan Kath »aus ganzem Herzen« ab. Die Tradition des Teppichknüpfens könne nur gewahrt werden, »wenn man alte Techniken und moderne, menschenwürdige Arbeitsbedingungen miteinander verbindet«.
Und dies tut Jan Kath: Ob in Nepal, Thailand, Indien oder Marokko, dort, wo seine über 3000 Knüpfer an Teppichen arbeiten, wird für Aus- und Weiterbildung Sorge getragen. Sein Maßstab heiße STEP, sagt er, diese Organisation »berechnet, basierend auf Marktpreisen, den Lohn, den die Knu?pferinnen und Arbeiter für sich und ihre Familien brauchen, um ihre Ausgaben fu?r Ernährung, Gesundheit, Wohnen, Energie, Kleidung und Bildung abzudecken«. Denselben Respekt, den diese Menschen gegenüber den hochwertigen Materialien wie Brennnesselfaser, Seide oder Wolle mit so viel Fingerspitzengefühl entgegenbringen, »dürfen sie von mir erwarten«, betont der Autodidakt Kath, der »eigentlich nie so richtig vorhatte, ins Teppichgeschäft zu gehen«.

exquisite & handgeknüpfte Teppiche fesselN ihn

Demonstrativ reist er mit Anfang 20 erst einmal durch die Weltgeschichte, Jack Kerouacs »On the Road« zwar nicht im Gepäck, aber ein wenig im Herzen. Und
irgendwie kam es, wie es kommen sollte: Vor allem Asien und der Orient faszinierten ihn, und ob es nun »der reine Zufall« war, dass Jan Kath nach Nepal kam und dort erst einmal eine ganze Weile blieb, wie er es beschreibt, wer will es sagen? Als von Bekannten an ihn der Wunsch herangetragen wurde, dort die Qualität in einer Teppichmanufaktur zu überprüfen, war es jedenfalls doch um ihn geschehen. Fortan sollte ihn alles, was irgendwie mit exquisiten, handgeknüpften Teppichen zu tun hat, fesseln. Allerdings war ihm eines sehr klar: »Teppiche waren in den Achtzigern und Neunzigern so was von out, mehr ging gar nicht. Entweder wurden sie als uncooles Spießer-Wohnaccessoire betrachtet, oder sie wurden billig verhökert, und Beschaffenheit und Design waren derart grauenvoll, dass man sich mit diesen Dingern bestenfalls den Dachboden auslegen mochte.«

Orientteppiche international neu erfinden

Nachdem er noch eine weitere Weile Tibet und die Mongolei bereist hatte, nahm sich Jan Kath also nichts Geringeres vor, als das Renommee und das Design von Orientteppichen international mal eben neu zu erfinden. Das hatte zwar vor ihm schon der eine oder andere versucht, aber keiner so konsequent wie Jan Kath. Und keiner so erfolgreich. »Mit Mainstream hatte ich freilich nie etwas im Sinn«, betont Kath. Bei ihm kommen zwischen 100 und 450 Knoten auf einen Quadrat-Inch (gleich 6,45 Quadratzentimeter), bis zu 700 000 Knoten auf einen Quadratmeter – »absolute Spitzenware«. Da ergibt es plötzlich Sinn, dass mehrere Knüpferinnen und Knüpfer je nach Muster und Größe zwischen drei Monaten und einem Jahr an einem Teppich arbeiten.

Von Hand hergestellte Teppiche sind Kunstwerke

Neben dem Knüpfen ist das »Waschen« ein weiterer wichtiger Schritt. »Farben werden dabei nachhaltig betont oder zurückgenommen.« Die Rezepte dafür sind geheim und seit Jahrhunderten überliefert. Der US-Professor Daniel Walker, eine Orientteppich-Koryphäe, schwärmt über die alten Techniken der Färber: »Sie verwenden gefärbte Garne wie Maler Pigmente.«
Bei Kaths Teppich-Werken ist es dieser geheimnisvolle Vorgang, der sie jahrhundertealt wirken lässt. Das Bild des Knüpfers als Maler macht deutlich: Von Hand hergestellte Teppiche sind Kunstwerke.

"Handle with Love" – Jan Kath

Das fertige Stück wird dann per Flugzeug an seinen Bestimmungsort geschickt und bekommt einen herzförmigen pinkfarbenen Aufkleber. Darauf steht in drei Worten eine Kurzversion der Philosophie von Jan Kath, die er so formuliert: »die Kombination klassischer Orientteppich-Elemente mit kontemporärer, minimalistischer Gestaltung auf qualitativ höchstem handwerklichen Niveau«. Oder eben in drei Worten: »Handle with Love«

08.06.2013