Teil 1

Shopping auf dem Neuen Wall in Hamburg - Erfahrungsbericht

Nächster Halt: Gucci

Schon immer wollte ich mal eine Boutique der sagenumwobenen italienischen Luxusmarke, Inbegriff von modischer Dekadenz und in meiner Fantasie Anlaufstelle für mondäne Powerfrauen, betreten. Der Türsteher träumt vor sich hin, ich muss die schwere Glastür selbst aufstemmen. Gerade wird eine dreiköpfige asiatische Touristengruppe von vier Verkäuferinnen umgarnt, auf dem Verkaufstresen stapeln sich bereits lauter braune Schachteln mit goldenem Schriftzug. Allerdings besteht das Sortiment hier nahezu ausschließlich aus Accessoires (die mich nicht interessieren - schließlich will ich ja etwas in der Umkleide anprobieren, um heimlich Fotos machen zu können), die Pret-à-Porter-Kollektion hängt im hinteren Teil des Geschäfts. Sofort sticht mir der knallblaue Hosenanzug ins Auge, doch in einem Etablissement dieser Art bedient man sich natürlich nicht selbst, außerdem möchte ich mich ja heute mal so richtig edel umsorgen lassen. Allerdings werde ich, offenbar fast absichtlich, komplett ignoriert. Alle Welt ist mit der fernöstlichen Kundschaft beschäftigt, im Grunde könnte ich in aller Seelenruhe den Laden leerräumen und abhauen. Aber ich will ja nicht im Gefängnis landen, kaum dass meine Tour überhaupt begonnen hat. Also wende ich mich an den Türsteher: "Wen muss man denn hier fragen, wenn man etwas anprobieren möchte?", erkundige ich mich freundlich. "Am besten die Verkäuferinnen" - ach was, wirklich? Welch exklusive Information.

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Ich stehe noch etwa zehn Minuten wie bestellt und nicht abgeholt in der Gegend herum, betrachte karierte Portemonnaies und bin kurz davor, aus lauter Langeweile mit dem Anprobieren sämtlicher Sonnenbrillen zu beginnen, bis plötzlich wie aus dem Nichts eine fünfte Verkäuferin aufkreuzt und mich mit mit dem blauen Hosenanzug in die Anprobe geleitet. "Haben Sie auch dazu passende Schuhe?" Muss man denn hier alles selbst machen? Beim dritten Anlauf werden mir noch die Söckchen zum Anprobieren der schwarzen Lackpumps geliefert, dann kann es losgehen.

In der Kabine finde ich mich unter unvorteilhaftester Neon-Beleuchtung wieder, die schamlos jede Hautunreinheit offenbart. Kein gutes Zeichen. Warum Gucci wohl gerade bei den Umkleidekabinen spart? Auf jedem ICE-Klo ist die Beleuchtung charmanter - aber gut. Es geht hier ja um den Hosenanzug. Ein wirklich feines Teil, und die Verkäuferin lässt sich sogar zu einem Kompliment herab. "Wunderbar!" - und so fühle ich mich auch. Zum Glück sind aber die Ärmel des ansonsten perfekt sitzenden Blazers zu kurz, meine überlangen Arme sind eine familiäre Veranlagung. "Wissen Sie, ich kaufe entweder Blazer UND Hose - oder nichts von beidem." Irgendeine Ausrede, warum ich dieses wunderschöne Ensemble jetzt nicht kaufe, muss ich ja schließlich aus dem Ärmel zaubern. Die Verkäuferin nickt bedauernd, kommt aber nicht auf die Idee, mir eine Alternative vorzuschlagen. Erstaunlich, ich dachte immer, dass sich die Mitarbeiterinnen derart nobler Läden vor lauter Verkaufsengagement nahezu überschlagen würden. Hat man mich vielleicht längst als minderbemittelte Spaßkundin identifiziert, die sowieso nichts kaufen wird? Wie viele Voyeure spazieren hier eigentlich täglich vorbei, um einfach mal aus Jux einen Hosenanzug für 2245 Euro anzuprobieren? Ich wage nicht danach zu fragen, und verlasse Gucci ein wenig wehmütig. Der blaue Smoking sah ja schon ziemlich gut aus…

Lesen Sie in der nächsten Woche Teil 2 unserer Erkundungstour durch die feinsten Modeboutiquen auf dem Neuen Wall in Hamburg – mit dabei: Jil Sander, Bottega Veneta und Burberry...

Wer hat nicht schon mal in ehrfürchtiger Abstandshaltung vor einer glänzenden Jil-Sander-Vitrine gestanden und die dort ausgestellten Kleider angeschmachtet? Was geschähe, wenn man dann dort tatsächlich einmal etwas anprobieren würde? Einfach so, aus Jux und Dollerei? Wir haben es ausprobiert – hier lesen Sie das Forschungsergebnis in zwei Akten.

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Für 2245 Euro kann man 1122 FLAIR-Magazine, 641 Zahnbürsten oder drei neue iPhones kaufen. Oder: einen knallblauen Hosenanzug von Gucci. Wie fühlt sich das an, so viel Geld auf der Haut? Viel Geld, das man sowieso nicht hat? Eine spannende Frage, gerade für all jene modebegeisterten, jedoch eher durchschnittlich bemittelten Menschen wie ich, die jedes Mal, so wie sie den Neuen Wall, Hamburgs feinste Einkaufsstraße, entlang flanieren, schmachtend vor den Vitrinen von Jil Sander und Burberry verweilen, aber doch niemals - niemals! - wagen würden, hinein zu schreiten in dieses Paradies der perfekt geschnittenen, seidig fließenden, unbezahlbaren und unerreichbaren Herrlichkeiten. Zu präsent ist da zumindest bei mir jene Szene aus "Pretty Woman", in der Julia Roberts als Nutte Vivian im aufreizend billigen Look über den Rodeo Drive spaziert, mit der Kreditkarte ihres Gönners einzukaufen versucht, aus allen feinen Boutiquen jedoch auf das Herablassendste wieder herauskomplimentiert wird.

Was wohl passiert, wenn man diese Szenerie einfach mal nachspielt?

Ein sonniger Mittwochnachmittag in Hamburg. Heute werde ich alle Hemmungen überwinden und die feinsten Läden der Stadt erobern, namentlich die edelsten Flagshipstores auf dem Neuen Wall. Zwar bin ich nicht gekleidet wie eine Prostituierte, dafür aber mit leeren Taschen und ohne nicht-limitierte Kreditkarte unterwegs. Ich trage No-Name-Jeans und eine falsche Pelzjacke. Ich möchte herausfinden, ob man mir meine Zahlungsunfähigkeit ansieht, und wie man mich wohl behandeln wird. Wird man mich als minderbemittelten Abschaum hinauswerfen? Oder in mir eine zumindest potenzielle Kundin sehen, die es entsprechend wie eine Königin zu hofieren gilt? Wir werden sehen.

Erstes Ziel: Traditions- und Luxusgeschäft Unger

Zum Aufwärmen beginne ich bei Unger, Neuer Wall Nr. 35. Das kleine Luxuskaufhaus vereint feine Kleider von Victoria Beckham, Talbot Runhof, Mary Katrantzou und Stella McCartney unter seinem Dach. Ich steuere direkt die Dior-Ecke an, in der sich eine etwas zerknitterte tiefbraun geröstete Dame die Beine in den Bauch steht. Ich setze ein kritisches Gesicht auf, lasse mich nicht von den verkniffenen Adleraugen irritieren, denen keiner meiner Schritte entgeht, und durchstöbere die leider recht dürftige Auswahl.

Eine Kundin im mondänen Pelzmantel schiebt sich an mir vorbei, mustert mit angewidertem Blick einen Ledermantel und wandert wieder von dannen. "Den Mantel haben wir auch in anderen Größen!", krächzt die Knitterfrau schrill hinter ihr her. Ich habe Lust, sie ein bisschen zu ärgern und zeige mich pikiert darüber, dass es zum weißen Smokingblazer keine passende Hose gibt. "Ich kaufe doch keinen Blazer ohne Hose dazu", bemerke ich streng und kichere innerlich. Die Verkäuferin schaut ratlos, kommt nicht auf die Idee, mir stattdessen etwas anderes anzubieten und weiß nicht, was sie sagen soll. Lektion Nr. 1: Angriff ist die beste Verteidigung - um als zahlungsunfähiger Kunde einem herablassenden Treatment der Verkäuferinnen zu entgehen, gilt es, ein möglichst zahlungsfähiges Auftreten vorzutäuschen. Auch fachkundig sollte man sich zeigen - auf dem Revers des besagten Smokingblazers entdecke ich einen hauchfeinen losen Faden. "Sehen Sie, da ist ein kleines Loch, das müsste aber mal genäht werden!" Die Verkäuferin guckt hilflos, den Adleraugenblick hat sie längst abgesetzt. Ich schultere meine Handtasche, zupfe meine falsche Pelzjacke zurecht und marschiere triumphierend aus dem Laden.

22.04.2013