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flair im Interview mit Burlesque-Künstlerin Marlene von Steenvag

Marlene von Steenvag ist nicht nur Deutschlands bekannteste Burlesque-Künstlerin, sondern auch Gastgeberin des Berliner Burlesque Festivals, das nun bereits zum dritten Mal erfolgreich in der Hauptstadt stattfand. Mit flair hat sie über weibliches Selbstbewusstsein und den Wert von Selbstverwirklichung gesprochen. Eine Frau, die definitiv noch mehr zu bieten hat als Glanz und Glamour

Interview: Ann-Kathrin Riedl

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Foto: Daggi Binder

 

Burlesque-Tänzerinnen werden oft als sehr selbstbewusste Frauen wahrgenommen. Woran könnte das liegen?

Beim Burlesque geht es darum, dass Künstler kleine, individuelle Stücke zeigen und ihren Charakter präsentieren. Es ist nicht wie beim Striptease, der die Illusion aufbaut: Ich kann diesen Menschen besitzen, denn er ist ein namenloses Objekt. Zum Burlesque kommen die Besucher, weil sie der Charakter der Frau interessiert. Das schafft natürlich eine selbstbewusste Haltung. Wenn ich auf die Bühne gehe, sage ich mir: Jetzt bekommt ihr MICH zu sehen. Das Publikum darf für drei oder zehn Minuten mit einem anderen Menschen in dessen Welt eintauchen. Diese Welt kann düster sein, verspielt, voller weißer Federn oder blutrünstig – ganz wie es dem Künstler gefällt.

W
as hat dich zum Burlesque geführt?

Ich komme vom Theater und habe Chansons der 30er gesungen. Um die Auftritte aufzupeppen, habe ich angefangen, mich währenddessen umzuziehen. Das hatte noch nichts mit Burlesque zu tun. Ich bin einfach immer mehr Teil der Geschichte aus den Liedern geworden. Irgendwann dachte ich mir: Ok, ich lasse das Singen sein und widme mich nur noch der Kunst des Kokettierens und der Entblätterung.

Passt sich
eine Burlesque-Tänzerin den Vorstellungen des Mannes an, oder versucht sie, auf der Bühne ihre eigene Fantasie auszuleben?

Das ist ganz unterschiedlich. Wenn wir nach Amerika schauen, dann sind da viele operierte Brüste. Das ist die Glamour-Schiene, aber es gibt beim Burlesque noch eine andere Seite. Dort, wo es um den Charakter und die Story geht, findet man das nicht so sehr. Dort wird alles – von fett bis dürr – gefeiert. Solange dieser Mensch auf der Bühne steht und genug Attitude hat. Zum Beispiel bei Dirty Martini, die sehr korpulent ist und zu der jeder Arzt sagen würde: Sie müssen abnehmen. Die geht mit so viel Power und Charme auf die Bühne, dass dir die Kinnlade runter fällt.

In der Mode
wird Gleichberechtigung mit dem Trend zu Unisex in Verbindung gebracht. Burlesque hingegen feiert die pure Weiblichkeit. Passt das trotzdem zusammen?

Natürlich, wir sind die Post-Emanzipation. In den 20er Jahren sind die Sufragetten für das Recht wählen zu dürfen ins Gefängnis gegangen und haben sich dort fast zu Tode gehungert. Sie haben ihre BHs verbrannt, weil sie keine Lust mehr hatten, sich einengen zu lassen. Wir als Burlesque-Tänzerinnen haben heute den großen Luxus, auf dieser ganzen Emanzipationsbewegung aufbauen zu können. Wir können sagen: Es ist vieles erreicht worden und jetzt erlauben wir uns, mit all dem – gebildet, emanzipiert und selbstbewusst – eine Frau zu sein. Burlesque ist das Spiel mit der Weiblichkeit, aber das wäre nicht möglich, wenn es all die anderen Entwicklungen nicht gegeben hätte. Wir könnten heute kein Korsett tragen und uns sexy fühlen, wenn es immer noch ein Zeichen der Unterdrückung wäre.

Wie sehr hat Weiblichkeit etwas mit Ä
ußerlichkeiten zu tun?

Ich hatte vor kurzem ein Shooting mit der Fotografin Esther Haase für eine Kampagne gegen Brustkrebs. Da waren Frauen dabei, denen beide Brüste amputiert wurden. Und trotzdem hatten die so eine Kraft und viel mehr Selbstbewusstsein als manch junges Mädchen, dass seine Oberweite zu klein findet. Sich weiblich zu fühlen hat nichts mit dem Körper zu tun. Es hat damit zu tun, wie man sich bewegt, wie man sich im eigenen Körper zu Hause fühlt. Das ist wahre Sinnlichkeit und Weiblichkeit.

Wie würdest du eine starke, selbstbewusste Frau definieren?

Für mich ist eine selbstbewusste Frau eine solche, die ihren Weg geht. Es gibt zu wenige Menschen, die wirklich ihr eigenes Ding machen. Oft sind wir so ungebildet über uns selbst und darüber, was wir wirklich wollen. Ich bin immer wieder gefragt worden: „Was sagen denn deine Eltern zu dem, was du machst?“ Was ist denn das für eine Frage? Warum sollte das für mich entscheidend sein? Ich mache einfach, was ich möchte. Ich weiß, wo die Reise hingehen soll und ich weiß, was ich will. Es ist erstaunlich wie viele Menschen sich unwohl fühlen und ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie aus der Reihe fallen. Ich glaube, wir alle wären glücklicher, wenn wir mehr das tun würden, worauf wir Lust haben. Dann würde es auch weniger Neid und Missgunst geben. Denn Neid entsteht, wenn man sich selbst nicht ausleben kann und dann jemanden vor die Nase gesetzt bekommt, der genau das tut. Was fehlt ist vor allem, dass die Leute sich selbst mögen und zu sich ja sagen. Das ist auch das, was ich in meiner Academy vermitteln will.

Stimmt, du hast eine
Burlesque-Academy gegründet – was genau machst du dort?

Ich arbeite im Grunde an der Persönlichkeit der Leute. Sie sollen nicht wie XY sein wollen oder wie dieser und jener Performer. Ich versuche gemeinsam mit ihnen herauszufinden, wer sie selbst sind und was ihre eigene Geschichte ist. Nur das ist interessant. Wenn man erfolgreiche Burlsque-Künstlerinnen beobachtet, stellt man fest, dass sie alle ihr eigenes Markenzeichen haben. Die sind nicht austauschbar. Ein solches Markenzeichen muss man als Performer finden, sonst kannst du immer nur die Zweitbeste sein. Das ist, was gutes Burlesque ausmacht – das Innere nach Außen zu tragen. Du teilst auf der Bühne das Kostbarste, was du hast: deine Persönlichkeit.

Wenn
du mir gegenüber sitzt, ist jedes Detail deines Outifits und jede Bewegung perfekt abgestimmt. Wie groß ist der Unterschied zwischen Marlene von Steenvag auf der Bühne und im Privaten?

Es gibt zwischen meiner Kunstfigur und meiner Herkunftsfigur keinen großen Unterschied mehr. Es war mal so, dass Marlene sehr weit entfernt war von meiner eigentlichen Person. Da habe ich gemerkt: Der ursprüngliche Teil von mir wird vernachlässigt. Ich muss ihn mehr integrieren. So haben sich die beiden Teile angenähert. Ich kann heute zum ersten Mal in meinem Leben sagen, dass ich wirklich zufrieden bin.

Welche Pläne hast du mit dem Burlesque Festival?
Wo soll es damit hingehen?

Noch empfinde ich es als Aufklärungsarbeit. Man sieht in Deutschland noch nicht sehr viel gutes Burlesque. Auf kleineren Veranstaltungen sind häufig Amateur-Tänzer unterwegs. Hobby-Burlesque. Aber es gibt auch tolle Künstler, die den richtigen Rahmen brauchen. Wohin sich das entwickeln wird, weiß ich noch nicht. Momentan will ich einfach meine Kunst feiern und sie den Menschen vorstellen.

Mehr Informationen zum Berliner Burlesque Festival finden Sie unter: www.berlin-burlesque-festival.com 
Sie sind an der Burlesque Academy interessiert? Dann geht es hier entlang: www.marlene-von-steenvag.de

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flair im Interview mit Marlene von Steenvag, Foto: David Berlin @ ECD Photography
28.09.2015