Voyeurismus in der Mode – flair-Featurechef Siems Luckwaldt über seine Beweggründe für den Artikel und seine liebsten Fashion-Exhibitionisten
Text: Marieke Fischer
Siems, sind Sie ein Voyeur?
Absolut, das ist als Journalist leider quasi eine Berufskrankheit. Und wenn man Voyeurismus mit "an seiner Umwelt interessiert" definiert, sind wir das ohnehin alle. Noch schlimmer: Ich bin leider auch ein Audiyeur, wenn es das gibt. Sobald im Flugzeug, in der Bahn, im Restaurant jemand in meiner Nähe eine Unterhaltung beginnt, die gut zu hören ist, bin ich ganz Ohr und kann mich nicht mehr auf mein Buch o.ä. konzentrieren.
Was hat Sie an diesem Thema besonders gereizt?
Die Frage, was bleibt vom Voyeurismus, wenn gerade sozial-medial wirklich alle Hüllen längst gefallen sind, ist ungemein interessant. Vor allem in der Mode, also einer Kunstdisziplin, die immer mit dem Ver- und Enthüllen als "teaser" gespielt hat. Und unserer Neugier. Wenn mir aber nun ein Designer morgens sein Frühstück auf Instagram zeigt und abends das letzte Fitting als YouTube-Clip, ja, worauf darf ich denn dann überhaupt noch gespannt sein?
Was hat Sie bei der Recherche überrascht?
Wie prägend die Arbeiten von Fotografie-Legende Helmut Newton für dieses Thema sind. Klar kannte ich seine berühmten "Nudes", aber dass er Jahrzehnte vor Instagram bereits ein loses Foto-Tagebuch führte und wie vielseitig er sich an dem Verhältnis Voyeur-/Subjekt abgearbeitet hat, das hat mich erstaunt.
Welchem Exhibitionist aus der Modebranche folgen Sie bei Instagram besonders gerne?
Ich versuche immer mal hier und mal da zu schauen, bin extrem untreu. Gerade habe ich Advanced Style wiederentdeckt, den Blog von Ari Seth Cohen. Die Grandes Dames, die er so wundervoll in Szene setzt, verdienen jedes Like/Gefällt mir. Auch fantastisch: Joel Strong, der Star-Köpfe aus der Zeitung ausschneidet und auf seine eigenen Bilder montiert.
Welche Erkenntnis haben Sie aus der Arbeit an dem Feature gewonnen?
Oh, zunächst, dass ich unbedingt mal wieder in eine Fotografie-Ausstellung gehen sollte. Und dann, dass der Sog der Bilder – die wir selbst beisteuern und konsumieren – positive und negative Aspekte hat. Plus: Wir erfahren, wie andere Menschen leben. Das überwindet Ländergrenzen, könnte Toleranz befördern. Minus: Wir leben durch die Bildergalerien der anderen, fühlen uns vielleicht sogar von ihren Jetset-Schnappschüssen unter Druck gesetzt, wollen jeden Moment nicht genießen sondern vor allem digital festhalten. Ein Balanceakt, den jeder für sich selbst meistern muss.
Gassigehen mit Marc Jacobs, zum Work-Out mit Karlie Kloss oder durch die Nacht mit Jeremy Scott? Dank Blogs, Instagram und Snapchat entgeht uns im Fashionland keine Sekunde mehr. Siems Luckwaldt hat diesen Einfluss genau ergründet – exklusiv in der flair September Ausgabe.