Inspiration

Pop-Art Haus: Ikonen des Pop-Art-inspirierten Möbeldesigns

Pop-Art: Die amerikanischen Vertreter der Kunstrichtung – wie Andy Warhol und Roy Lichtensten – inspirieren bis heute, etwa das Möbeldesign. flair zeigt die Ikonen und die ersten Pop-up-Designer

Text: Robert Doerk, Fotos: Hersteller, BASF

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„SACCO“ VON GATTI, PAOLINI UND TEODORO

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„SACCO“/ZANOTTA: Seine offiziellen Maße lauten: B 80 x H 68 x T 80 cm. Die wahre Größe bestimmt aber der Benutzer. „Sacco“ passte sich dem Lebensgefühl einer ganzen Generation an

1968 ENTWORFEN, VERKöRPERTE KEIN ANDERES MöBEL PUNKTGENAUER DAS LEBENSGEFüHL DIESER ZEIT UND LEHNTE SICH SO GEGEN DAS STATISCHE DESIGN AUF

Wie auch in der Kunst wurde der Betrachter/Benutzer gefordert, alle Gewohnheiten einfach zu vergessen und sich Neuem zu öffnen. Bei „Sacco“ konnte er sich im wahrsten Sinne des Wortes fallen lassen. Die immer wiederkehrende Duplizierung in den Werken der Pop-Art bekam bei „Sacco“ eine ganz andere Dimension: Das Sitzmöbel gehört zu den meistkopierten Möbeln überhaupt. Tausende von Kunst- stoffkugeln in einer Kunstlederhülle – das ist einfach herzustellen.

Ein Möbel, das sich dem Körper so perfekt anpasst, gab es bis dahin nicht. Es unterwirft sich fast widerstandslos und erhebt den Benutzer über die eigene, eigentlich nicht vorhandene Form. Dazu kam ein fast erotisches Element. Lasziv und provozierend posierten unzählige Frauen in „Sacco“ in der Werbung auch für andere Produkte.

Das erfolgreiche Design wurde nie verändert – dafür aber das Material. Heute ist „Sacco“ in vielen verschiedenen Ausführungen von Stoff bis Leder und in unendlich vielen Farben erhältlich. Bis in die 70er-Jahre entwarf das Trio noch sachliche Möbel, die sich leicht in viele Wohnsituationen einfügten. Die drei waren aber auch im Städtebau, in der Produktentwicklung, Fotografie und Grafik tätig.

"Blow" von De Pas, D'Urbino und Lomazzi

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"BLOW“/ZANOTTA: Das italienische Designer-Trio De Pas, D’Urbino, Lomazzi entwarf 1967 diesen Sessel aus PVC. Hersteller Zanotta warb damit, dass „Blow“ bei Temperaturen von -5 bis +50 Grad Celsius benutzt werden kann und lieferte einen Blasebalg mit

DAS ITALIENISCHE DESIGNER-TRIO HAT 1967 DEN SESSEL ALS MöBEL DER POP-ART BEZEICHNET UND ZäHLT ZU DEN ERSTEN, DIE DIESEN TREND AUFGENOMMEN HABEn

Künstler der Pop-Art griffen immer wieder auch Elemente der Comic-Kultur in ihren Arbeiten auf und wandten sich dem Trivialen zu, ohne dabei die Realität zu vergessen. Mit einem anderen Möbel, dem Sessel „Joe“ in Form eines überdimensionalen Baseball-Handschuhs, brach das Trio 1970 ein weiteres Mal mit den traditionellen Vorstellungen des Sitzens und Wohnens und wurde zu einem bekannten Vertreter des italienischen Radical Design. Die Produkte des Radical Design sollten eine gegen den Konsum gerichtete Haltung ausdrücken. „Joe“ galt als Hommage an den legendären amerikanischen Baseball-Spieler Joe DiMaggio, der eine Zeit lang mit Marilyn Monroe verheiratet war. Neben dem provokativen Anspruch, sich neuen Wohngewohnheiten anzupassen, war den Designern aber auch immer eine große Portion Humor in ihren Produkten wichtig.

Das Trio De Pas, D’Urbino und Lomazzi war vielen nur ohne Vornamen bekannt. Ein Zustand, den die drei bis zum Schluss kultivierten. Seit dem Tod von De Pas 1991 arbeiten D’Urbino und Lomazzi noch heute in ihrem Mailänder Büro Studio D’Urbino Lomazzi. Zanotta hat „Blow“ 2012 nach über 40 Jahren aus dem Programm genommen. Er ist nun ein begehrtes Sammlerstück.

"Colani" von Luigi Colani

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„COLANI“/RESPECT KLASSIKER: Die ergonomische Fiberglas- konstruktion entwarf Luigi Colani 1967 als In- und Outdoor-Möbel

ER WIRD VEREHRT, GEHASST, BELäCHELT ODER GELIEBT. LUIGI COLANI IST DAS ALLES ZIEMLICH EGAL. WAS IHM WICHTIG IST: EINZIGARTIG SEIN. DAS HAT ER ERREICHT

Vom Rennwagen bis zur WC-Schüssel, von der Kamera bis zur Armbanduhr - rund muss es sein und dann noch den gewissen Colani-Touch haben. Der Designer, der die Aufmerksamkeit genießt, aber die Öffentlichkeit zugleich meidet, traut sich jedes, aber auch wirklich jedes Projekt zu. Sogar eine Raumfähre ins All. Nicht nur, dass seine Arbeiten einzigartig erscheinen, der gebürtige Berliner Luigi Colani inszeniert sich auch selbst, wie es unter anderem Andy Warhol tat, immer wieder neu und immer wiedererkennbar. Colani überrascht für einen kurzen Moment den Betrachter, der dann bemerkt: "Kenn' ich schon".

Seine Formensprache entwickelt sich kaum oder nur in Nuancen. Auch der Pop-Art- Künstler bleibt sich immer treu. Colani gehört zweifelsohne zu den bekanntesten Pop-Art-Designern. Anders als "Sacco" ist der Klassiker von Colani ein starres, hartes Möbel aus Fiberglas, das sich ein- zig durch die Formgebung dem Körper ergonomisch anpasst. Fiberglas wird seit 1957 im Flugzeugbau verwendet - für den Futuristen Colani fast ein Muss, sich mit diesem Werkstoff auseinanderzusetzen. In der Schweiz unterhält er ein Forschungs- studio fu?r neue Materialien und deren mo?gliche Verwendung: seine "Factory".


"Cloud" von RONAN UND ERWAN BOUROULLEC

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„CLOUD“/CAPPELLINI: Symbolisch fu?r die große Wolke ihres Erfolges ko?nnte dieses Regalsystem der Bru?der Ronan und Erwan Bouroullec stehen. Es kann immer gro?ßer gebaut werden

WäHREND DES STUDIUMS WOLLTE RONAN BOUROULLEC VERSTEHEN, WARUM IHM DIE ARBEITEN DER PROFESSOREN NICHT GEFIELEN. ER LIESS ES BLEIBEN UND ZOG EINFACH SEIN DING DURCH

Mit ihrer Studie "Disintegrated Kitchen" stellten die bretonischen Brüder 1997 auf der Pariser Möbelmesse eine neue Herangehensweise bei der Gestaltung von Küchen vor und wurden prompt von Giulio Cappellini entdeckt. Eine neue Idee haben, sie umsetzen und versuchen, so viel Aufmerksamkeit wie möglich zu bekommen - auch Pop-Art-Künstler haben immer daran gearbeitet, ungewöhnliche Präsentationsformen zu finden, um ihre Themen in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Marketing at it's best. Mit "Cloud" schufen die Brüder 2004 ein Regalsystem, das sich scheinbar unendlich mit sich selbst vervielfältigen kann. Mit nur zwei Druckelementen werden die Teileverbunden. Es erinnertan die nicht enden wollenden Duplikationen von Pop-Art-Werken. Längst sind die beiden Megastars im Designgeschäft - mit Hausbooten, Läden und Hotels, Armaturen, Leuchten, Möbeln, Fliesen und vielem mehr. Ihre Auftraggeber sitzen in der ganzen Welt und reißen sich um das Duo. Nach zahlreichen Auszeichnungen und Aus- stellungen und zwei Monografien haben die Bouroullecs mit "Cercles", einer iPad-App, auch das digitale Universum erobert.

"Super" von Martine Bedin

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„SUPER“/MEMPHIS: Ausschließlich aus runden Formen gestaltete Martine Bedin den rollenden Licht-Igel

DIE MITBEGRüNDERIN DER DESIGNGRUPPE MEMPHIS SORGTE 1981 MIT GRELLEN FARBEN UND üBERRASCHENDEN FORMEN FüR EINE REVOLUTION

Erklärtes politisches Ziel von Memphis war es, Designobjekte einer breiten Masse zugänglich zu machen. Eine Auffassung, die auch den ersten Pop-Art-Künstlern zugesprochen wird. Memphis entstand als Gegenbewegung zum Hightech-Design der 70er-Jahre, Pop-Art als Reaktion auf die etablierte Kunst.

Neben der Journalistin Barbara Radice war Bedin die einzige Frau in der Gruppe. "Super", der rollende Leucht-Igel, wurde eines der meistzitierten Produkte von Memphis. Für das größere Publikum waren ihre Produkte zugänglicher als die von Ettore Sottsass oder Matteo Thun.

"Soft Little Heavy" von Ron Arad

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„SOFT LITTLE HEAVY“/ MOROSO: Ein Entwurf von 1991, der noch heute zeitgema?ß ist und nur minimal vera?ndert wird

ER IST BEKANNT FüR SEINE SOFTEN ODER NUR SCHEINBAR WEICHEN SITZMöBEL, ABER IN DEM DESIGNER SCHLUMMERT AUCH EIN REBELL, DER MANCHMAL NOCH IN ERSCHEINUNG TRITT

"No Discipline" hieß seine erste große Werkschau im New Yorker Museum of Modern Art. Kuratorin Paola Antonelli waren Arads Exzesse bekannt: Er igno- rierte Grenzen, galt als Eigenbrötler und es umgab ihn eine Verwegenheit, die Frauen sexy fanden. Zeitgleich zu seinen ersten, brutal wirkenden Möbelentwürfen interessierte sich der Brite mit israelischen Wurzeln für Installationskunst, in die er seine Objekte integrierte.

Die unterschiedlichen Ausführungen des Sessels "Big Easy" widmete Arad unter anderem dem Pop-Art-Künstler Claes Oldenburg und dem Konzeptkünstler Jeff Koons. Der "Soft Little Heavy"-Chair wurde in seiner allerersten Ausführung in einer Auflage von zehn Stück aus einem ausgedienten Rover-Sitz hergestellt - heute ist er gut gepolstert und nicht limitiert. Mit "post all - neo nothing" beschrieb Ron Arad einmal seine Arbeit. Bestes Beispiel dafür: das von ihm entworfene Design Museum Holon in Israel.

"Astro" von Edward Carven Walker

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„ASTRO“/MATHMOS: Sie leuchtet und leuchtet und leuchtet seit mehr als 50 Jahren – am schönsten in der Gruppe

OB EDWARD CRAVEN WALKER 1963 PSYCHEDELISCH ERLEUCHTET WAR, ALS ER DIE LAVALAMPE ERFAND, IST LEIDER NICHT BEKANNT

Dem bekennenden Nudisten, Hubschrauberpiloten und gewieften Buchhalter kam die Idee zu dieser Lampe in einem britischen Pub beim Beobachten einer Eieruhr - erzählt die Firmenlegende. "Astro" und "Astro Baby" wurden nicht nur im swingenden London der 60er-Jahre zu Kultlampen, sondern spielten auch leuchtende Nebenrollen in zahlreichen Filmen. Neben politischen Einstellungen sind in vielen Happenings der Pop-Art auch bewusstseinserweiternde Erfahrungen thematisiert worden. Die Grenze zwischen Flower-Power und Pop-Art schien manchmal fließend zu sein.

Fließend wie die Bubbles in der Lampe. Die Lavalampe wird seit über 50 Jahren ausschließlich in England hergestellt. Um für die Liebhaber von magischem Licht auch weiterhin attraktiv zu sein, wurde das Angebot um viele weitere Lampenmodelle erweitert. Keines konnte den Erfolg der Lavalampe wiederholen. Sie ist seit 1963 der Bestseller von Mathmos. Seine Zukunft sieht das Unternehmen in der Entwicklung neuer Technologien und in der Zusammen- arbeit mit bekannten Designern wie etwa Ross Lovegrove. Heute gehören auch Kerzenleuchter zum Sortiment - passend zur aufkommenden Romantik in der Kunst

„ottoman" von NOé DUCHAUFOUR-LAWRANCE

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„OTTOMAN“/CINNA: Mit der aufwendigen Absteppung dieses Entwurfs von 2009 wird ein ganz besonderer Effekt erzielt, der sich dem Betrachter erst durch unterschiedli- che Blickwinkel erschließt

"NéONATA - NEUGEBOREN" NENNT ER SEIN DESIGNBüRO. EIN RICHTUNGSWEISENDER NAME

Wenn man mit Anfang 30 schon weltbekannte Bars, elegante Restaurants und die Business Class Lounge für Air France in Paris gestaltet hat, dann hat man etwas richtig gemacht. Das war 2007. Heute gehören Swarovski, Paco Rabanne und Yves Saint Laurent Beauté sowie zahlreiche große Möbelhersteller und kleine Designfirmen zu den Auftraggebern von Noé Duchaufour-Lawrance.

Was ist sein Erfolgsgeheimnis? Neben den eigenen Entwürfen arbeitet er sehr gerne mit Zitaten der alten Meister. In einem Chalet in Savoyen hängte er "Bubble" von Eero Aarnio an die hölzerne Decke. Der Kontrast könnte nicht größer sein. "Die Sinne ansprechen und Gefühle auslösen" möchte der Designer und ergänzt: "Ich entwerfe ein Objekt ausgehend von einem emotionalen Ausdruck, der sich aufgrund meiner Erfahrung weiterentwickelt - und nicht in Anlehnung an einen bestimmten Stil." Ganz im Sinne des gerne zitierten Aarnio und der Protagonisten der Pop-Art.

15.04.2015