kultur

flair im Interview mit Song-Poet Nisse

Interview: Marieke Fischer

Das Wort "scheitern" zieht sich wie ein roter, verworrener Faden durch die Biografie von Nisse. Und es hatte nie eine positivere Bedeutung. Warum sollte man sich schließlich von schwierigen Zeiten runterziehen lassen, wenn sie dich anschließend nach oben katapultieren, ganz genau dahin, wo du sein wolltest? Es hat eine Weile gedauert, bis das Hamburger Multitalent seinen eigenen Weg zwischen den tausenden möglichen Pfaden gefunden hat. Seinen eigenen Klang entdeckt, seine eigene Stimme gefunden, seine eigene Story geschrieben hat. Jetzt aber hat Nisse sein Debüt-Album "August" veröffentlicht – ein Konzeptalbum, das von Liebe erzählt und seinen Traumpartner in begleitenden Kurzfilmen gefunden hat. flair hat den Deutsch-Poeten zum Gespräch getroffen. 

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Dein Album „August“ ist ein aufwändiges lyrisches und visuelles Gesamtkonzept – wie viel Zeit lag zwischen der Ideenfindung bis hin zum Release?

Ich habe am Album selbst sechs Jahre geschrieben, wenn nicht sogar fast sieben. Danach habe ich etwa ein Jahr lang produziert und dann noch mal ein Jahr gebraucht für den Rest, also zum Beispiel das visuelle Konzept. Aber ich muss dazu sagen, dass ich in dieser Zeit relativ lange, etwa die ersten fünf bis sechs Jahre, meinen Stil finden musste. Obwohl ich nach einem Jahr schon fertige Songs hatte, von denen man hätte behaupten können, sie seien gut und passend für das Radio – aber mich selbst gefunden oder gesehen habe ich mich in ihnen nicht.

Und mit welchem Gefühl würdest du deinen Stil jetzt definieren?

Ich finde meine Musik ehrlich! Direkt und ehrlich. Was ich schreibe, wie ich singe. Ich hatte nie Gesangsunterricht oder habe groß an Sachen rumgearbeitet, sodass es besser klingt. Alles, was die Songs sind beziehungsweise darstellen, sind echte Gefühle gewesen. 

Du beschreibst auf deinem Album den Verlauf einer Liebesgeschichte vom Anfang bis zum Ende. Hat dich bei dieser Art des Storytellings ein bestimmter Song-Writer beeinflusst?

Nein, gar nicht. Es sind alle meine Einflüsse, die zusammentreffen. Die Beatles haben zum Beispiel mit „Sergeant Pepper“ ein Konzeptalbum entwickelt, bei dem sie sich vollkommen ausprobiert haben! Aber vom Texten her, von der Sprache, gab es jetzt nicht den einen Deutschen, der es mir „erklärt“ hat. Künstler, die ich in diesem Sinne beeindruckend finde und die mich bestimmt auf eine gewisse Art geprägt haben, sind Rio Reiser, Falco und Grönemeyer – selbst wenn ich sie nicht bis zum Exzess gehört habe. Sie sind so ehrlich, frei und mutig. Für mich ist Deutsch einfach die schönere Sprache. Obwohl sie gesungen, mit all den harten Lauten, etwas schwer klingt, gibt sie uns viel mehr Möglichkeiten. Ich habe auch viele Gedichte gelesen, zum Beispiel von Heine. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass ich dort ein bestimmtes Reimschemata gelernt habe. Es passiert alles unterbewusst bei mir, sodass ich einen für mich passenden, schönen Weg finde.

Wann hast du denn deinen ersten Liebesbrief geschrieben?

Bestimmt mit 15 oder 14. Das Mädchen hieß Rosa. Der Name klingt jetzt natürlich gleich als ob ich es mir ausgedacht hätte... 

Warst du da auch schon so ein Poet?

Nein, überhaupt nicht. Das war glaube ich richtig schlecht! Hoffentlich bekommt sie das jetzt nicht mit und kramt den Brief wieder raus, um allen zu zeigen, dass ich eigentlich völlig talentfrei bin! Oder war.

Wenn du jetzt einen Abschiedsbrief an deine große Liebe schreiben würdest – was wäre der erste Satz?

Ich bin positiv. Deswegen würde ich wahrscheinlich sagen: Egal was jetzt gleich kommt, wir werden uns eh wiedersehen und es wird besser sein als es jetzt ist.

Apropos große Liebe: Glaubst du in Zeiten von Tinder und Mingles noch daran?

Ich glaube auf jeden Fall an die eine große Liebe. Auf jeden Fall.

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©Calvin Mueller

Welchen Song hörst du, wenn dir eine Frau nicht mehr aus dem Kopf geht?

Bestimmt sowas wie James Blake, „Limit to your love“ oder „Retrograde“. Ich liebe das. Ich weiß nicht wie ich darauf komme, weil ich ihn seit fast zwei Jahren nicht mehr wirklich gehört habe. Aber richtig krasse Emotionen, was die Zwischenmenschlichkeit von Mann und Frau angeht, wie man zueinander findet und sich wieder trennt, die hat zuletzt er musikalisch ausgelöst.

Und nach der ersten Versöhnung?

Gar nichts. Da bin ich wahrscheinlich im Studio. Generell höre ich das am meisten, was ich grade selbst kreiere.

Weil dich andere Songs sonst von deinen eigenen Ideen ablenken würden?

Ja, und ich hab auch gar nicht so viel Zeit. Es gab eine Phase, da war ich bis sieben Uhr morgens wach und habe amerikanische Seiten nach neuer Musik durchforstet! Dazu war ich jetzt in der Zeit, in der ich produziert habe, nicht fähig, weil ich immer circa 18 Stunden lang im Studio war und danach direkt pennen gegangen bin. Wenn ich mal nicht ganz so lange da war, hatte ich trotzdem 12 Stunden lang nur Musik um mich herum. Nur Analyse, nur schauen: Was kann ich noch verbessern, wo ist das schönere Gefühl, wo müssen wir hin. Ich bin überhaupt nicht mehr in der Lage noch etwas anderes zu hören.

Nicht nur Musik, sondern auch Kleidung hat einen bestimmten emotionalen Wert, sodass man mit einigen Stücken spezielle Erinnerungen verbindet – hast du auch so ein Teil?

Als ich '99 mit einem Kumpel auf die Reeperbahn gezogen bin, hab ich mit meinen damals besten Freunden eine kleine Hip-Hop Crew gegründet, die „Kiez-Beats“ hieß. Ein Kumpel von mir, Philipp, hat gesprüht und gezeichnet und irgendwann ein Logo für „Kiez-Beats“ entworfen. Genial! Vom Logo her hätte das eine geile Brand werden können! Wir haben uns Pullis genommen und das Zeichen einfach drauf drucken lassen. Als wir das Endergebnis in der Hand hatten, fühlte es sich an, als hätten sich grade die Musketiere gefunden. Ich war selten so stolz! Man hatte was gefunden, das einen vereint, Hoffnung gibt und die Freundschaft beweist. 

Klischeemäßig heißt es ja, Männer würden sich das erstbeste saubere Kleidungsstück greifen und anziehen. Bei dir ist das offensichtlich nicht der Fall! Wie suchst du deine Kleidung aus?

Nach Gefühl und natürlich nach dem Wetter – ich hab echt richtig schöne Jacken, Blazer und Mäntel, die ich jetzt schon gern anziehen würde. Aber auch welche Schuhe ich grade tragen möchte. Dann wird das Outfit von unten nach oben zusammengestellt. Viele meiner Freunde sind echte Oberstyler, da muss man schon was hermachen, wenn man mit ihnen unterwegs ist. Manchmal sehe ich trotzdem aus wie jemand, der in einen Altkleiderkasten gefallen ist und einfach wieder rauskommt. Wie in einer schlechten Zauberkugel.

Welchen Stil findest du bei Frauen interessant?

Ich mag's wenn es sehr dezent ist, aber trotzdem interessant geschnitten und intelligent gemacht ist. Es ist schön, wenn sich erst auf dem zweiten Blick außergewöhnliche Details zeigen. Täglich schauen dich so viele Menschen an und ob etwas hängen bleibt oder nicht wird teilweise auch von solchen Kleinigkeiten beeinflusst. Es ist ein bisschen so wie Braun früher Radios und Rasierer hergestellt hat! Du hältst etwas in der Hand, schaust es an und weißt nicht, was du besser machen solltest. Wenn eine simple, eindimensionale Sache so perfekt scheint, dann ist das schon genial.

Noch eine letzte Frage: Wenn du ein Geräusch oder Ton wärest, welches wärest du?

Ich wäre das „f“ auf dem Klavier, in mittlerer Lage. Oder Donner, auch wenn's ein bisschen negativ klingt. Eine Sache, die sich auflädt. Etwas Ehrliches, Direktes, Unvorhersehbares. So empfinde ich auch den Großteil der Sachen, die in meinem Leben passieren...

 

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11.09.2015