kultur

Das flair Wintermärchen – mit Helene Fischer und Campino

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Helene Fischer & Campino ein Paar? Das ist doch wohl ein
Märchen!
Genau. Wie es in keinem Buche steht, sondern
nur in flair. Packend erzählt von Schriftstellerin Marie Pohl.

Illustration: Daniel le Bon

Lesen Sie hier den Anfang – wie es ausgeht, erfahren Sie in der März-Ausgabe der flair!

Unter den Frauen auf St. Pauli war eine, die man „Krüppelchen“ nannte. Sie war nicht feurig, konnte nicht tanzen, schminkte sich unordentlich und hinkte wegen eines zu kurzen Beines. Ihre Zähne waren schief und gelb, und mit dem Stiel einer alten Fliegenklatsche kratzte sie sich ihren juckenden, buckligen Rücken. Aber sie konnte Geschichten erzählen, und oftmals gingen Männer und Frauen nach ihren Lustspielen zu Krüppelchen, um eine ihrer Geschichten zu hören.

In jener Sommernacht lag eine ungewöhnlich schwere Hitze auf Hamburg, die alles verschmolz, und jeder Menschenkörper dampfte. Krüppelchen litt besonders, denn der Schweiß trieb den Juckreiz an. Sie stand vor ihrem Stammlokal und kratzte sich wie verrückt. Das sah ein angetrunkener Kerl, der des Weges kam. Er riss Krüppelchen die Fliegenklatsche aus der Hand und rannte davon. Sie rief ihm nach. Aber er war schon ums Eck.

„Vergiss die alte Fliegenklatsche“, tröstete der Barkeeper, „erzähl uns lieber eine Geschichte.“
Aus den Boxen sang Helene Fischer das Lied „Tage wie diese“ von den Toten Hosen. Man schunkelte und ließ die Schnapsgläser auf die Theke krachen.
Und Krüppelchen erzählte:

Einst träumte ein kleiner Mann davon, der größte Sänger der Welt zu sein. Doch seine Stimme taugte nichts. Sie war brüchig wie trockenes Laub. Die Gesangslehrer schüttelten die Köpfe: Aus dem war nichts zu machen. Aber der Ehrgeiz flüsterte ihm unerbittlich ins Ohr und eifrig begann er, das Wesen der Stimme und die schwarze Magie zu studieren. Er forschte in okkulten Schriften, bis er endlich in einem Wiener Antiquariat in einem zerfledderten Büchlein eine Zauberformel fand.

Man musste zwei Sängern, die genau das Gegenteil voneinander waren, die Stimmen entziehen. Die eine Stimme sollte trainiert, die andere untrainiert sein, eine weiblich, die andere männlich, eine hoch, die andere tief, und nach 3 Nächten, 3 Stunden, 3 Minuten und 3 Sekunden sollte man die Stimmen erhitzen und den Dampf inhalieren. Dann würde man perfekt singen können. Der kleine Mann ließ sich in der Opernstadt Wien nieder, wurde Stimmarzt und behandelte bald die berühmtesten Sänger des Landes.

Eines Tages rief die Schlagersängerin Helene Fischer bei ihm an. Sie hatte sich auf ihrer Stadien-Tournee verkühlt und war heiser. Kurz darauf spielte der Zufall ihm einen zweiten Anruf in die Hände. Den Punkmusiker Campino plagte ein schrecklicher Husten.
Diese beiden Stimmen waren genau das, was der Arzt für seine Zauberformel suchte. Helene Fischers helle, glasklare Stimme war trainiert. Sie hatte jahrelang Unterricht genommen, traf Halbtöne haargenau und konnte sie minutenlang halten. Campino hingegen hatte nie singen gelernt. Er war Punkmusiker. Er konnte auch keine Noten lesen. Er lernte die Lieder nach Gehör, und wenn er mal einen Ton nicht traf, übergrölte er ihn.
„Das ist meine Zaubermischung“, jauchzte der Arzt, und der Ruhm, nach dem ihn dürstete, schien zum Greifen nah.

Die Schlagersängerin und der Punkrocker begrüssten sich freundlich, als sie im Wartezimmer aufeinandertrafen. Sie kannten sich flüchtig von Preisverleihungen, hatten aber nie länger miteinander gesprochen. Das brave Schlagermädchen und der wilde Punkrocker. Was hatten die schon gemeinsam? Aber in der Intimität des Wartezimmers fiel die Bühnenhülle ab.

Helene Fischer las in einer Zeitschrift, während Campino an einem Schokoladencroissant naschte. Sie blickte auf und sah, dass ihm ein Brotkrumen am Mundwinkel klebte. Mit einer Geste wies sie darauf hin. Er lächelte. Sie auch. Ihre mütterliche Art berührte ihn.
Der kleine Arzt führte Helene und Campino jeweils in ein Zimmer und gab ihnen einen wohlriechenden Dampf zum Inhalieren. Nach ein paar Atemzügen waren ihre Stimmen geheilt. Nun reichte der Arzt ihnen einen Schlauch, in den sie hineinsingen sollten. Campino hörte Helene aus dem Nebenzimmer.

Helene hörte Campino. Und beide fühlten eine merkwürdige Verbundenheit. Der eine hörte im anderen das, wonach er/sie sich sehnte. Der raue Punkstar strebte Verantwortung und Vorbildlichkeit an. Nach betrunkenen Autofahrten, nach Randale in Talkshows schimpfte er immer mit sich. Er wollte eigentlich gar nicht schlecht sein. Er wollte gut sein. Und Helene, die das Gute, das Besonnene, das Liebliche verkörperte, wollte ausbrechen aus der Rolle der Braven. Und so hörte jeder im anderen das, was er/sie sich von sich selbst wünschte.

Der Arzt gab ihnen einen Schluck Tee, der sie einschläferte, und als sie wenig später erwachten, hatten sie vergessen, dass sie in einen Schlauch gesungen hatten und einander so seltsam nah gewesen waren. Der Arzt erklärte, ihre Stimmen seien noch krank, und verordnete drei Tage absolute Schweigepflicht. Dann entließ er sie.


... wie es weitergeht, erfahren Sie in der flair-Ausgabe im März 2016

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11.03.2016